Der falsche Freund
mich zum Kaffeetrinken mit Carla, die Laura ebenfalls gekannt hatte und der es eine Art schmerzhaftes Vergnügen zu bereiten schien, eine Stunde lang immer wieder auszurufen, wie schrecklich das alles doch sei.
Später saß ich eine Weile über den Firmenbüchern. Ich fühlte mich rastlos und überdreht, wusste mit meiner freien Zeit nichts anzufangen. Einerseits wollte ich niemanden sehen, andererseits aber auch nicht allein sein. Nachdem ich meine alte Post durchforstet hatte, befreite ich meinen Schrank von sämtlichen Klamotten, die ich schon seit über einem Jahr nicht mehr getragen hatte. Dann ging ich noch meine E-Mails durch und löschte alle, die ich nicht behalten wollte.
Schließlich rief ich Bill auf seinem Handy an und teilte ihm mit, dass ich gern etwas mit ihm besprechen würde. Statt zu fragen, ob das nicht bis morgen Zeit habe, antwortete er, er sei gerade in Twickenham, komme aber gegen sechs zurück. Wir verabredeten uns in der Nähe von King’s Cross in einer Bar, die früher eine richtige Spelunke gewesen war, sich inzwischen aber in ein schickes Lokal mit einer reichen Auswahl an Cocktails, Eistees und verschiedenen Kaffeezubereitungen verwandelt hatte.
Ich schlüpfte in eine Jeans und ein weißes Hemd und war eine Viertelstunde zu früh in der Bar. Als Bill eintraf, begrüßte er mich mit einem Kuss auf die Stirn und ließ sich dann mir gegenüber nieder. Er bestellte einen gewürzten Tomatensaft und ich eine Bloody Mary, um mir Mut zu machen. Wir stießen miteinander an, und ich fragte ihn, wie sein Wochenende verlaufen sei. Er hob einen Finger.
»Worum geht’s, Miranda?«
»Ich möchte aufhören, für dich zu arbeiten«, erklärte ich.
Nachdenklich nahm er einen Schluck Saft, dann antwortete er:
»Klingt nicht schlecht.«
»Was?!« Er lächelte mich so lieb an, dass mir die Tränen kamen. »Da nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, um dir das zu sagen«, meinte ich blinzelnd, »und du antwortest bloß, dass es nicht schlecht klingt.«
»Ich halte es wirklich für eine gute Idee.«
»Tut es dir denn gar nicht Leid, mich gehen zu lassen?«
»Du brauchst einen Neuanfang.«
»Ja, das habe ich mir auch gedacht.«
»Weit weg von allem, was mit der Familie zu tun hat.«
»Du bist kein normales Familienmitglied.«
»Danke.«
»Nein, ich habe das positiv gemeint.«
»Ich weiß.«
»Mein Leben kommt mir vor wie ein riesiges Chaos. Ich muss mich endlich aus dem ganzen Schlamassel befreien.«
»Was wirst du tun?«
»Vielleicht bewerbe ich mich bei einem Innenausstatter, irgendwas in der Richtung. Kontakte habe ich inzwischen ja genügend. Soll ich die dreimonatige Kündigungsfrist einhalten?
Oder wie machen wir das? Und wirst du mir ein schönes Empfehlungsschreiben mit auf den Weg geben?«
»›Ich kenne Miranda Cotton schon, seit sie einen Tag alt war
…?‹ Etwas in der Art?«
»So ungefähr.« Ich musste vor Rührung schon wieder schlucken und spielte verlegen mit meinem Glas herum.
»Nun lass uns nicht sentimental werden, Miranda. Wir können uns doch trotzdem sehen. Es ist ja nicht so, dass du die Stadt verlässt.«
»Vielleicht doch.«
»Was? Du willst aus London wegziehen?«
»Vielleicht.«
»Oh.« Er hob sein Glas. »Viel Glück. Manchmal ist es wirklich das Beste, alle Brücken hinter sich abzubrechen. Dieser Meinung war ich schon immer.«
»Ich weiß. Bill?«
»Ja?«
»Ich habe Brendan nie geliebt. Es war nicht so, wie alle dachten.«
Bill zuckte mit den Achseln.
»Ich mochte ihn nie besonders. Mich nervte die Art, wie er immer meinen Arm drückte, wenn er mit mir sprach, und mich in jedem Satz dreimal beim Namen nannte.«
»Dann glaubst du mir?«
»Im Großen und Ganzen«, antwortete er mit einem halben Lächeln. »Mehr oder weniger.«
»Danke.« In meinen Augen brannten schon wieder Tränen. Ich fühlte mich vor lauter Dankbarkeit ganz schwach.
»Ich glaube, ich brauche noch eine Bloody Mary.«
»Ich fahre jetzt heim. Trink, so viel du willst, aber denk dran, dass wir morgen früh um acht mit dem neuen Haus anfangen.«
»Ich werde pünktlich da sein.«
Er stand auf und küsste mich wieder auf die Stirn. »Pass auf dich auf.«
30. KAPITEL
Ich machte Nägel mit Köpfen. Es kostete mich einige Überwindung, aber ich schaffte es: Ich bot meine Wohnung zum Kauf an. Ich tat es wie eine Schlafwandlerin – ohne nachzudenken. Letztendlich war es mir egal, ob sich ein Käufer finden würde oder nicht, und genau deswegen lief es besser als alles, was ich
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