Der falsche Freund
Zumindest für einen Moment. Ich hasste Laura so sehr, dass ich ihr nur das Schlimmste wünschte, und als es dann tatsächlich passierte, empfand ich eine Sekunde lang ein Gefühl von Triumph, aber dann fühlte ich mich sofort ganz schrecklich, als wäre ich irgendwie dafür verantwortlich.« Ihr Gesicht hatte kurz einen wilden, leidenschaftlichen Ausdruck angenommen, wurde aber gleich wieder traurig. »Irgendwann war ich dann so weit, dass ich mir nur noch dachte: Was hat das eigentlich mit mir zu tun? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir es einfach hinter uns lassen müssen.«
»Hast du denn gar nicht das Bedürfnis, darüber zu reden?«, fragte ich.
»Ich konzentriere mich lieber auf meine Zukunft.«
»Du hast wirklich nicht das Bedürfnis, darüber nachzudenken?
Zu verstehen, was passiert ist?«
»Zu verstehen?« Sie blinzelte mich fragend an. »Unser Bruder hat sich umgebracht. Mein Verlobter hat mich verlassen. Was gibt es da zu verstehen?«
»Aber …«
»Ich sage ja nicht, dass ich es nicht schrecklich fand. Aber meiner Meinung nach war beides ziemlich eindeutig. Deswegen weiß ich auch nicht, was es da noch zu reden geben sollte.«
Ich saß einen Augenblick schweigend da. All die Turbulenzen, die Wellen aus Emotionen, aus Hass und Verzweiflung, die über unsere Familie hereingebrochen waren, lagen nun als ruhiger, dunkler Teich vor mir.
»Und was ist mit uns?«, fragte ich schließlich.
»Mit uns?«
»Ja, mit dir und mir, den beiden Schwestern.«
»Was sollte mit uns sein?«
»Du hast mich gehasst.«
»Nein, das habe ich nicht«, widersprach sie.
»Du hast mir die Schuld an allem gegeben.«
»Am Anfang vielleicht.« Sie griff nach ihrer Tasse und leerte sie. »Aber das ist längst vorbei. Geht es dir gut? Du siehst ein bisschen …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
»Das Ganze hat mich ziemlich mitgenommen.«
»Natürlich.«
Ich konnte es einfach nicht dabei bewenden lassen.
»Oh, Kerry, ich möchte so gern, dass wir uns wieder vertragen!« Mir wurde bewusst, dass ich wie eine Zweijährige klang, und fügte hinzu: »Ich dachte, zwischen uns wären noch ein paar Sachen zu klären. Klarzustellen.«
»Meiner Meinung nach liegt alles ziemlich klar auf der Hand.«
»Ich hoffe, du weißt inzwischen, dass ich nie in Brendan verliebt war. Keine Sekunde. Ich habe ihn verlassen und …«
»Bitte, Miranda«, unterbrach sie mich in angewidertem Tonfall. »Lassen wir das.«
»Nein, hör mir zu, ich möchte doch nur, dass du verstehst, dass ich zwischen euch beiden nie etwas kaputtmachen wollte.
Ich wollte, dass du glücklich wirst, das musst du mir glauben. Er war derjenige, der …« Ich hielt inne.
»Wie du schon gesagt hast, es spielt keine Rolle mehr. Das ist vorbei. Er ist kein Teil unseres Lebens mehr. Ich wollte bloß wissen, ob es dir gut geht und zwischen uns wieder alles in Ordnung ist. Es wäre schrecklich, wenn er es geschafft hätte, uns einander zu entfremden.«
»Du hast Recht«, antwortete sie leise. Dann beugte sie sich ein wenig vor, und ihr Gesicht nahm plötzlich einen anderen Ausdruck an. »Ich sollte dir wohl etwas erzählen.«
»Was denn?«
»Es kommt mir fast wie ein Sakrileg vor. Nach Troy und – du weiß schon. Jedenfalls dachte ich, ich könnte nie wieder glücklich sein. Und dann ist es so schnell passiert.« Sie wurde rot. »Ich habe jemanden kennen gelernt.«
»Du meinst …«
»Einen netten Mann«, fuhr sie fort. »Er ist ein ganzes Stück älter als ich, und es scheint ihm wirklich etwas an mir zu liegen.«
Ich legte meine Hand auf die ihre. »Das freut mich sehr«, sagte ich herzlich und fügte dann hinzu: »Ich hoffe, es ist niemand, den ich kenne?«
Mein dummer Versuch, einen Witz zu machen, kam nicht an.
»Nein. Er arbeitet in einem Krankenhaus, als Manager auf der unteren Führungsebene. Sein Name ist Laurence. Du musst ihn bald mal kennen lernen.«
»Ja, unbedingt.«
»Er weiß über alles Bescheid …«
»Natürlich.«
»Und er ist ganz anders als … du weiß schon.«
»Ja. Gut. Großartig.«
»Mum und Dad sagen, sie mögen ihn.«
»Gut«, antwortete ich ein weiteres Mal, weil mir nichts anderes einfiel. »Wunderbar. Ich freue mich so für dich.«
»Danke.«
Ich besorgte einen großen Strauß aus Tulpen, Narzissen und Iris und nahm einen Bus, der nur ein paar hundert Meter von meinen Eltern entfernt hielt. Das Haus war endlich wieder ohne Baugerüst, die Eingangstür in einem glänzenden Dunkelblau gestrichen. Ich klopfte und
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