Der Falsche Krieg
Er will den Monarchien am Golf die Legitimität entziehen und zugleich die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten entschärfen, indem er sich als Vorkämpfer der arabischen Sache präsentiert. Insofern hat der Iran ein vitales Interesse daran, dass alle Konflikte in der Region ineinanderfließen, denn das schafft eine Verbindung zwischen der (überwiegend arabischen) »Ablehnungsfront« und der »schiitischen Achse«. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass es nicht zu einem offenen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten im Irak kommt, bei dem der Iran intervenieren müsste und direkt oder indirekt Saudi-Arabien gegenüberstünde, denn das würde das Ansehen des Iran bei der sunnitisch-arabischen Bevölkerung im Nahen Osten also vor allem in Ägypten, Palästina, Jordanien, Syrien und sogar im Maghreb, ruinieren. Der Iran hat darum kein Interesse daran, dass sich die Amerikaner schnell aus dem Irak zurückziehen, denn dann würde sich der konfessionelle Konflikt zuspitzen und auf die Region übergreifen.
Der Iran setzt auf die schiitische Achse im Irak, aber er will sich nicht auf sie allein konzentrieren, weil dann die Gefahr besteht, dass er ins schiitische Getto zurückfallen und sich erneut einer Allianz, bestehend aus arabischen Nationalisten, konservativen Monarchien und militanten Sunniten, gegenübersehen könnte. Die »Ablehnungsfront« und die »schiitische Achse« sind im Grunde Gegensätze, auch wenn der Iran beide taktisch
nutzt. Deshalb ist dem Iran daran gelegen, dass der Druck in beiden Fällen steigt.
Dieser Widerspruch taucht auch in der Haltung von Al Qaida auf, der einzigen Organisation, die wie der Iran an allen Fronten präsent ist. Im Irak und in Afghanistan hat Al Qaida einen antischiitischen Kurs eingeschlagen. Aber die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten zu betonen, kommt einer Schwächung der antiisraelischen und antiwestlichen Front gleich. Deshalb bereitete es der Al-Qaida-Führung Sorgen, dass Zarkawi, der Chef der Terrororganisation im Irak, vor seinem Tod im Juni 2006 dem Kampf gegen die Schiiten Priorität eingeräumt hatte.
Heute versuchen die Iraner, sich den radikalen Sunniten taktisch anzunähern, 2007 etwa gab es anscheinend Geheimverhandlungen mit den Taliban in Quetta. Aber die wiederholten Anschläge auf iranische Sicherheitskräfte in der Provinz Sistan, wo die Bevölkerung vorwiegend aus sunnitischen Belutschen besteht, zeigen, dass radikale sunnitische Gruppen, die wahrscheinlich Verbindungen zu lokalen Drogenhändlern und zu pakistanischen Geheimdiensten haben, auf diesem Ohr taub sind. Die Allianz, die in den achtziger Jahren die afghanischen Mudschaheddin unterstützt hatte (Saudi-Arabien, Pakistan sowie radikale sunnitische Gruppen), bildet sich wieder neu und zeitigt dabei wahrscheinlich den gleichen negativen Effekt: eine Radikalisierung, gegen die ihre Schutzmächte machtlos sind (Al Qaida entstand in genau diesem Umfeld). Gleichzeitig fühlen sich die konservativen sunnitischen
Staaten stärker durch den Iran als durch Israel bedroht und sind deshalb auf Distanz zur Hisbollah gegangen.
Die Frage ist nun, wie sich das salafistische Umfeld im Verhältnis zum Schiismus entwickeln wird. Alles hängt davon ab, wo und wie sich das Schlachtfeld konstituiert. Gemeinsame Aktionen sind nicht auszuschließen, insbesondere im Fall eventueller amerikanischer Angriffe auf den Iran. Aber im Irak erleben wir eine neue Fusion von arabischem Nationalismus und Salafismus: Tausende sunnitisch-arabische Freiwillige sind in den Irak gegangen und haben sich dem »sunnitischen Dreieck« angeschlossen. Obwohl sie ursprünglich gegen die Amerikaner kämpfen wollten, fanden sie sich notgedrungen in der Zuspitzung des Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten wieder. Die Wahhabiten und auch viele Salafisten sehen in den Schiiten nach wie vor Ketzer, 9 während man im Umfeld der Muslimbrüder die Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten als zweitrangig gegenüber gemeinsamen Zielen betrachtet - daran hat Jussuf Qaradawi nach dem Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah noch einmal erinnert.
Die Hisbollah ist das Bindeglied zwischen den beiden Achsen. Sie hat ihre kommunitären und nationalen Entscheidungen klar bekundet: Verteidigung der libanesischen Schiiten, Verteidigung eines »neu geordneten« Libanon. Sie ist für den Iran kein unantastbarer Alliierter.
Entscheidend ist zudem, wie sich Amerika dem Iran
gegenüber verhält. Wenn der Iran zu weit geht, kann es sein,
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