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Der falsche Mann

Der falsche Mann

Titel: Der falsche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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sich echt nach Mosul zurückversetzt gefühlt?«
    » Klingt ganz so«, sagte ich. » Auf dem Verhörvideo kann man mitverfolgen, wie er genau diese Szene noch mal durchlebt. ›Waffe runter, Waffe fallen lassen, warum hast du die Waffe nicht fallen lassen?‹ Die Übereinstimmung ist verblüffend.«
    » Ach, Tom. Der arme Kerl …«
    Hiltons Augen wurden feucht. Die Gefühlsregung war ihm offensichtlich peinlich, als hätte ihm irgendjemand einen Vorwurf deswegen gemacht.
    » Tom hat die Frau mit einer Glock 23 erschossen«, sagte ich und hoffte, damit Hiltons Aufmerksamkeit von seinem Schmerz auf eine technische Frage zu lenken. » Hat er je so eine Pistole verwendet?«
    Hilton blinzelte die Tränen weg, wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und atmete tief aus. » Beim Militär? Nicht dass ich wüsste. Tom hat sich eine Glock gekauft?«
    » Keine Ahnung, ob er sie gekauft oder sich auf andere Art verschafft hat. Er war obdachlos. Vielleicht hat er sie gegen irgendwas eingetauscht. Vielleicht hat er sie gestohlen. Die Seriennummer war rausgekratzt.«
    Hilton dachte nach. » Ihr Ermittler meinte, er hat ihr zwischen die Augen geschossen?«
    » Richtig.«
    » Aus welcher Entfernung?«
    » Sie haben die Hülse in etwa vier Metern Entfernung gefunden.«
    Hilton grinste. » Ein verdammt guter Schuss mit dieser Waffe.«
    Joel Lightner hatte auch schon über diese Frage nachgedacht. Irgendetwas regte sich in meinem Kopf. Womöglich stellten meine grauen Zellen gerade neue Zusammenhänge her.
    » Ich brauche Ihre Zeugenaussage vor Gericht«, sagte ich. Mein Herz setzte einen Takt aus, als ich mir den Ausdruck auf Richter Nashs Gesicht ausmalte. Die Offenlegung der Beweismittel musste bis spätestens dreißig Tage vor Prozessbeginn erfolgt sein. Jetzt waren es nur noch siebenundzwanzig Tage bis dahin. Ich brauchte die Erlaubnis des Gerichts für die verspätete Einreichung. Und der Richter verstand in solchen Dingen keinen Spaß.
    Hilton stieß einen Seufzer aus und erhob sich von der Bank. » Das muss Tom entscheiden«, sagte er.
    » Tom spricht nicht mit uns.«
    » Hören Sie.« Auf einmal schien Hilton die Kälte wahrzunehmen. Er schob die Hände in die Hosentaschen. » Ich habe mit Ihnen darüber geredet, weil Sie sagten, Tom will nicht. Oder kann nicht. Sie sollten diese Informationen haben. Vielleicht hilft es ihm ja. Aber ohne Toms ausdrückliches Okay werde ich ganz sicher nicht vor Gericht aussagen.« Er nickte bekräftigend. » In Ordnung?«
    Genau das erwartete ich aber von ihm. Natürlich war das Ganze nicht perfekt. Kathy Rubinkowski war weiß, Mitte zwanzig und unbewaffnet gewesen, kein irakisches Mädchen mit einer Wasserpistole. Man hatte ihr mit einer Handfeuerwaffe zwischen die Augen geschossen und nicht mit einem Sturmgewehr in die Brust. Und zumindest auf den ersten Blick hatte eine stille, winterliche Großstadtstraße nichts mit der glühenden Hitze eines wütend umkämpften unterirdischen Tunnels im Irak gemein.
    Zwar ließe sich einiges davon durch die Umstände erklären, beispielsweise die Waffe – M-14-Sturmgewehre waren für jemanden wie Tom wohl kaum erschwinglich –, aber trotzdem war das Ganze alles andere als perfekt.
    Dennoch war es das Einzige, was ich hatte. Und was für einen Zyniker wie mich noch wichtiger war, es hatte sich wirklich so abgespielt. Es war die Wahrheit.
    Und das war es, was mich dort im Park mehr als alles andere aufrüttelte: die Wahrheit. Normalerweise sucht ein Verteidiger nicht nach der Wahrheit. Während die Staatsanwaltschaft einen Fall konstruiert, bemüht sich die Verteidigung, ihn wieder einzureißen. Während die Anklage Dinge klären und ans Licht bringen will, verschleiert und vertuscht die Verteidigung. Es war genau so, wie ich zu Tori gesagt hatte: Die meisten meiner Mandanten waren schuldig. Aber darin lag auch ein befreiendes Moment. Natürlich setzte ich Himmel und Hölle in Bewegung, um den Fall zu gewinnen, aber wenn ich scheiterte, traf es mich nie im Innersten, so sehr ich Verlieren auch hasste. Denn tief in mir wusste ich, meine Mandanten hatten die gerechte Strafe verdient.
    Allerdings nicht so in diesem Fall. Jetzt wusste ich, dass mein Mandant in der Tatnacht wirklich einen PTBS -Flashback erlitten hatte. Es war keine juristische Finte. Es war keine Theorie.
    Tom Stoller verdiente tatsächlich einen Freispruch. Und ob er nach dem Prozess in ein Zuchthaus gesperrt oder in einem Krankenhaus untergebracht wurde, das lag allein an

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