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Der falsche Mann

Der falsche Mann

Titel: Der falsche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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darüber reden.«
    In den letzten neunzig Minuten hatte ich vergeblich versucht, die Aufmerksamkeit meines Mandanten auf die Liste der beim Prozess auftretenden Zeugen zu lenken. Bisher hatte ich ausschließlich eine detaillierte Aufzählung sämtlicher Gefängnismahlzeiten der letzten Woche erhalten, inklusive des enttäuschenden Chilis von gestern Abend – für ihn enttäuschend vor allem deshalb, weil es Zwiebeln enthielt, aber möglicherweise war es auch in anderer Hinsicht enttäuschend – sowie eine ausufernde Schilderung der beiden Seinfeld -Episoden, die er sich angesehen hatte.
    Tom trug lediglich ein T-Shirt, obwohl die Raumtemperatur spürbar unter achtzehn Grad lag. Ich dachte an die Theorie unseres Psychiaters Dr. Baraniq, Tom vermeide jede Form von Wärme, weil sie ihn an den Krieg erinnerte.
    » Zeugen sind mir egal«, sagte er und deutete auf meine Akte. » Es soll endlich vorbei sein.«
    Dr. Baraniq hatte sich gestern außerdem beklagt, dass er einen ganzen Tag mit Tom verbracht hatte, ohne irgendwelche weiteren Einsichten gewinnen zu können. Mein Sachverständiger würde sich mit einer bloßen Hypothese über das Geschehene zufriedengeben müssen.
    » Es ist bald vorbei, Tom. Ob Sie sich jetzt diese Zeugenliste ansehen oder nicht. Aber wollen Sie denn nicht, dass wir am Ende gewinnen?«
    Tom tat das Übliche, er vermied jeden Augenkontakt, wackelte mit den Fingern und leckte sich mit heftigen Zungenstößen die Lippen. Die Haut um seinen Mund herum war so wund, dass er eine entfernte Ähnlichkeit mit Heath Ledger als Joker hatte.
    » Ich gewinne nicht«, sagte er.
    » Wir können gewinnen, Tom. Sie müssen einfach nur …«
    » Ich will nicht.«
    » Was wollen Sie nicht? Sie wollen nicht gewinnen?«
    Tom blickte zur Decke und lächelte. Dann begann er zu lachen. Das erlebte ich zum ersten Mal bei ihm. Dr. Baraniq hatte erwähnt, dass unangemessene emotionale Reaktionen ein mögliches Symptom desorganisierter Schizophrenie waren.
    » Gewinnen? Gewinnen? Wie soll ich denn gewinnen?«
    » Sie können den Prozess gewinnen«, sagte ich, » wenn Sie bestätigen, dass Sie unter Ihrer Krankheit litten, als Sie diese Frau erschossen haben.«
    Tom schüttelte wild den Kopf. » Das ist nicht … das ist nicht … gewinnen. Nein, nein, nein.« Er erhob sich von seinem Stuhl und lief auf die Tür zu.
    » Was ist gewinnen für Sie?«, rief ich ihm hinterher. » Tom …«
    » Gewinnen ist unmöglich. Ich kann nicht gewinnen.« Er stand mit dem Gesicht zur Wand und mit jeder Minute schüttelte er heftiger den Kopf. » Ich kann nicht … es geht nicht weg. Es geht nie mehr weg.«
    » Hey«, sagte ich.
    Ohne Vorwarnung sackte Tom zu Boden und begann zu murmeln. Die Worte waren unverständlich, wurden aber mit wütender Verzweiflung ausgestoßen.
    » Tom«, sagte ich.
    Aber er hörte nicht zu. Er schaukelte auf dem Boden vor und zurück, in seiner eigenen Welt verloren.
    Ein Vollzugsbeamter betrat den Raum und blickte mich fragend an.
    » Nehmen Sie ihn mit«, sagte ich und seufzte. Für den Augenblick war nichts mehr aus Tom herauszubekommen. Vielleicht war nie wieder etwas aus ihm herauszubekommen.
    Ich musste einen Weg finden, ihm zu helfen. Aber das war unmöglich, wenn er nicht zuerst mir half.
    Als ich zum Empfangsschalter zurückkehrte, reichten sie mir mein Handy. Ich hatte drei Nachrichten von Joel Lightner erhalten. Als ich aus dem Aufzug trat, rief ich ihn an.
    » Ich habe was rausgefunden«, berichtete er mir atemlos. » Mach dich auf eine tolle Überraschung gefasst.«
    17
    Stürmt das Haus, befehlen sie euch. Egal was letzte Woche passiert ist. Egal was deinem besten Freund passiert ist. Stürmt das Haus, befehlen sie, also tut ihr es.
    Es war ein Tipp, hat man dir erzählt, aber letzte Woche war es auch ein Tipp – allerdings ein fingierter, eine Falle. Drei Rangers und zwei Marines wurden von einer Bombe zerfetzt, keine dreißig Sekunden, nachdem sie in das Gebäude eingedrungen waren. Daran denkst du, während du draußen vor dem Haus stehst. Es ist kurz nach zwei Uhr morgens, aber du denkst nicht daran, wie müde du bist. Du denkst nicht daran, wie einsam du bist. Du denkst nicht daran, wie heiß es ist, an die dicke Wüstenluft, an die zwanzig Kilo Marschgepäck. Du denkst nicht an die Fragwürdigkeit deiner Mission, dieses beschissene Dilemma, in dem du steckst.
    Du denkst nur an die Tür und was dahinter ist.
    Du blickst nach links zu deinem Lieutenant. Lew ähnelt mit seiner Kampfausrüstung,

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