Der falsche Mann
mir.
19
Bobby Hiltons Knie zitterten, als er durch das dicke Glas starrte. Er drehte sich zu mir um und schien etwas sagen zu wollen.
Dies war ein Mann, der noch vor Kurzem Häuser gestürmt hatte, hinter deren Türen Gegner mit Hochleistungswaffen lauerten. Ein Mann, der wusste, dass überall, wo er sich bewegte, Sprengladungen versteckt sein konnten. Ein Mann, der in einem Land Dienst tat, wo ihn die meisten Menschen im besten Fall ablehnten und im schlimmsten Fall tot sehen wollten.
Aber hier wurde er nervös wie ein kleiner Schuljunge, obwohl er nicht mehr tun musste, als einem alten Freund Hallo zu sagen.
» Glauben Sie, es lockt ihn vielleicht aus der Reserve?«, fragte er mich.
» Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, sagte ich, als sich die Tür auf der anderen Seite der Scheibe öffnete. » Reden Sie einfach mit ihm.«
Der Aufseher führte Tom Stoller zu seinem Stuhl. Als sein Anwalt durfte ich mich im gleichen Raum mit ihm aufhalten, alle anderen mussten in den Besuchsraum mit der Kontaktsperre.
» Hey, Lew«, sagte Hilton mit zittriger Stimme. Er legte die Handfläche gegen das Glas.
Für mich sah Tom aus wie üblich, ungepflegt und weggetreten, mit leeren Augen und den nervösen, durch die Medikamente bedingten Ticks. Aber Sergeant Robert Edward Hilton kannte ihn aus einem ganz anderen Zusammenhang.
Tom schien Bobby nicht zu erkennen, bis er sich setzte. Dabei schaute er seinem ehemaligen Kameraden einige Augenblicke lang in die Augen, bevor er wieder zu seinem ausdruckslosen Starren zurückkehrte.
» Hey«, murmelte er.
» Alles klar bei dir … ich meine … wie geht’s dir so …« Hilton wusste nicht, wie er anfangen sollte. Jeder einführende Small Talk schien deplatziert, wenn ein guter Freund wegen Mordes im Gefängnis saß.
» Hey«, wiederholte Tom. » Hey … Bob.«
» Geht’s dir okay da drin, Lew? Ich meine, so gut es da drin eben gehen kann?«
» Es ist … heiß. Es ist so heiß.« Tom starrte in seinen Schoß.
» Du siehst aus, als solltest du dich da drin mal bisschen hochpäppeln lassen«, sagte Hilton. » Schlechter als unsere Feldrationen kann’s ja wohl kaum schmecken, oder?« Er kicherte versuchsweise, aber der Witz kam nicht an. Tom zeigte keine Reaktion.
» Das Gemüse hier schmeckt wie Dreck«, sagte Tom. Für mich schmeckte jedes Gemüse wie Dreck.
» Hey, Clap und Rush lassen dich grüßen. Ich hab ihnen erzählt, dass ich dich besuche.«
Toms Augen waren überall, nur nicht bei seinem Besucher.
Hilton fühlte sich unsicher. Tom war dieser Tage alles andere als ein gewandter Plauderer. Oder, um es auf den Punkt zu bringen, er war ein gänzlich anderer Mensch, als der, den Hilton im Irak kennengelernt hatte.
» Lew«, sagte er, » ich hab deinem Anwalt von dem Tunnel erzählt. Ich hab ihm gesagt, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, hätte ich dasselbe getan. Und dass du sie gewarnt hast und nicht wissen konntest …«
Tom drehte den Kopf, als reagierte er auf ein Geräusch zu seiner Linken. Er blieb in dieser Position, den Blick auf die Wand fixiert.
» Lew, du hast dir da einen echt guten Anwalt besorgt, meinst du nicht? Er will dir helfen. Gib ihm eine Chance. Kannst du mit ihm über die Nacht reden, in der diese Frau erschossen wurde?«
Es schien, als wäre Toms Gehirn mit einem Schlag eingefroren. Er bewegte sich keinen Millimeter. Wäre das Heben und Senken seiner Brust nicht gewesen, hätte man ihn für tot halten können.
Hilton ließ den Kopf sinken. Er sprach mit einem Mann, der einmal sein Vorgesetzter gewesen war, zu dem er mit Respekt und Bewunderung aufgesehen und dessen Befehle er entgegengenommen hatte. Wie niederschmetternd musste es für ihn sein, Tom in diesem erbärmlichen Zustand zu sehen. Ganz zu schweigen von den inneren Dämonen, die Hilton möglicherweise selbst mit sich herumtrug. Niemand überstand einen Krieg ohne seelische Verwundungen.
» Ich erinnere mich nicht«, sagte Tom überraschend klar und deutlich.
Hilton straffte sich. Auch ich richtete mich auf in meiner Ecke, in der ich bisher gesessen hatte. Dr. Baraniq hatte mich gewarnt, dass PTBS -Patienten häufiger unter partieller Amnesie in Bezug auf ihre Flashbacks litten. Aber ich hatte gehofft, Tom würde wenigstens ein paar Bruchstücke über die Mordnacht preisgeben können – für Dr. Baraniq und die Jury.
Wenn Tom uns tatsächlich nichts über das Geschehen erzählen konnte, gab es keinen unmittelbaren Zeugen der Tat. Keiner hatte gehört, wie er
Weitere Kostenlose Bücher