Der falsche Mann
Kathy Rubinkowski zurief, fallen lassen, die Waffe fallen lassen, oder etwas dergleichen. Niemand konnte aussagen, ob das Opfer möglicherweise irgendeine Form von Bedrohung für Tom dargestellt hatte. Niemand konnte von einem auslösenden Ereignis berichten, mit dessen Hilfe ich erklären konnte, warum Tom Stoller in dieser Situation von einem PTBS -Flashback heimgesucht wurde.
Ich hatte nichts. Nichts als die Hypothese eines Arztes.
Da Bobby Hilton so bei Tom nicht weiterkam, wandte er sich wieder simpleren Gesprächsthemen zu. Er erzählte Tom von seiner Arbeit in der Pizzeria seines Vaters in Racine und dass er den Laden vielleicht eines Tages übernehmen werde. Wiederholt fragte er Tom, ob er irgendwas brauche, erhielt aber stets nur einsilbige Antworten. Tom hielt den Kopf stur nach links gewandt und starrte in die Ferne, bis das Gespräch zu Ende war. Es tat weh, ihn dabei zu beobachten.
» Pass auf dich auf, Lew«, sagte Hilton. Noch einmal drückte er seine Hand gegen das dicke Glas, bevor er an mir vorbeiging und den Raum verließ.
Ich näherte mich dem Glas. » Tom, wir sehen uns morgen wieder«, sagte ich.
Mein Mandant antwortete nicht. Er wirkte vollständig abwesend. Nichts deutete darauf hin, was er dachte oder fühlte, bis auf eine Träne, die sich in einem Auge bildete und seine Wange hinabrann.
Als ich hinaus in den Flur trat, saß Sergeant Bobby Hilton auf einem Stuhl, den Kopf in den Händen, und schluchzte wie ein Kind.
Mit tränenüberströmtem Gesicht blickte er zu mir auf. » Sagen Sie mir, was ich tun soll«, stieß er hervor. » Ich bin zu allem bereit.«
20
Detective Gary Boxer führte mich in einen Verhörraum. Er trug einen Aktenordner und einen kleinen Notizblock bei sich. Er ließ beides auf den Tisch fallen und bedeutete mir, Platz zu nehmen.
» Also, wieso sind Sie an Lorenzo Fowler interessiert?«, fragte er.
» Ein paar Tage, bevor er ermordet wurde, war er bei mir. Er wollte einen anwaltlichen Rat. Ich hab den Fall nicht übernommen, aber wir haben miteinander gesprochen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, was er mir anvertraut hat.«
Boxer breitete die Hände aus. Er war schätzungsweise um die vierzig, hatte schütteres blondes Haar und tief liegende Augen. Ein Zahnstocher bewegte sich locker in seinem Mund. » Er ist tot«, sagte er zu mir. » Er muss sich wegen nichts mehr Sorgen machen.«
» Aber die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht ist immer noch in Kraft. Sie überdauert den Tod.«
» Okay, Sie dürfen mir also nicht mitteilen, was er Ihnen anvertraut hat. Warum sind Sie dann hier?«
» Ich dachte, ich stelle Ihnen ein paar Fragen.«
» Sie stellen mir Fragen.« Er beäugte mich einen Moment lang. » Okay, schießen Sie los. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich antworte.«
» Kennen Sie einen Stripclub namens Knockers?«
Für einen Moment setzte er ein Pokerface auf, dann entspannte er sich. » Kann sein, dass wir ihn wegen diesem Mord in Verdacht hatten. Zwei Tage vor seinem Tod hatten wir ihn deswegen in der Mangel. Sie wissen vermutlich davon, oder?«
» Möglich«, antwortete ich.
Boxer trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. » Sie sind nicht der Anwalt der Capparellis. Wenn er zu Ihnen kommt, dann bedeutet das, er will aussteigen. Er will einen unabhängigen Anwalt.« Er nickte, während er sich weiter vortastete. » Lorenzo dachte an einen Deal. Er wollte dem Staat Beweise liefern. Möglicherweise haben die Capparellis ihn deswegen erledigt, stimmt’s? Er wurde zum Risiko. Vielleicht war er auf der Suche nach einem Ausstieg. Unterbrechen Sie mich, wenn ich falsch liege.«
Ich unterbrach ihn nicht.
» Und deshalb wollten ihn die Capparellis aus dem Verkehr ziehen«, fuhr er fort. » Er war eine Gefahr, wie ich schon sagte.« Er ließ den Zahnstocher gekonnt von einem Mundwinkel zum anderen wandern. » Das alles ist nicht unbedingt neu für mich.«
Richtig, aber wenn er sich die Zeit nahm, würde er aus meinem Schweigen weitere Informationen gewinnen.
» Hätte Lorenzo Ihnen wertvolle Informationen liefern können?«
» Möglicherweise ja«, sagte ich. » Möglicherweise nein.«
» Möglicherweise ja, möglicherweise nein.« Boxer überlegte.
» Spielen Sie Karten?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. » Hab mal gepokert. Und Sie?«
» Ich mag ein anderes Spiel«, sagte ich. » Ich ziehe Gin Rummy vor.«
Ein schiefes Lächeln malte sich auf das Gesicht des Detectives. Boxer hatte begriffen. » Komisch«, sagte
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