Der falsche Mann
Uhr da, und ich hatte schon mehrfach mit Joel Lightner in seinem Büro telefoniert. Um halb vier am Nachmittag stellte sich dann noch Dr. Sofian Baraniq ein, mein Sachverständiger für posttraumatische Belastungsstörungen.
Ursprünglich war Dr. Baraniq Dreh- und Angelpunkt meiner Verteidigungsstrategie gewesen. Beim Plädieren auf Schuldunfähigkeit hätte der Ausgang des Prozesses allein von Dr. Baraniqs Glaubwürdigkeit vor der Jury abgehangen. Da diese Argumentation inzwischen jedoch ausgeschlossen war, erschien manchen Beteiligten Dr. Baraniq nicht mehr wichtig für den Prozess. Doch das war er. Ich plante nach wie vor, ihn einzusetzen. Und obwohl meine Verteidigung nun nicht mehr allein auf seiner Aussage basierte, war er immer noch ein entscheidendes Element.
Er saß mit Shauna in einem Konferenzraum. Ich warf kurz einen Blick hinein, um Hallo zu sagen. Ich mochte den Mann. Er hatte ein jungenhaftes Gesicht, aber mit seiner Brille, seinem gestutzten Bart und seiner gewählten Ausdrucksweise zugleich auch etwas Gelehrtes. Er besaß Sinn für Humor und Selbstironie, was ihn vor der Jury glaubwürdig und unprätentiös erscheinen lassen würde. Und vor allem konnte er seine Expertenmeinung in eine Sprache fassen, die für die Laien aus der Jury nachvollziehbar war. Ein guter Experte war immer auch ein Lehrer, und Baraniq verbrachte die meiste Zeit mit dem Unterrichten von Studenten höherer Semester.
» Schön, Sie zu sehen, Doktor.«
Er telefonierte gerade mit seinem Handy, legte aber rasch auf. Er reichte mir die Hand. » Hallo, Mr. Kolarich.«
» Nennen Sie mich doch einfach Jason.«
» Ich habe gehört, das Gericht hat eine Entscheidung bezüglich meiner Aussage getroffen.«
» Richtig, die Schuldunfähigkeitsverteidigung wurde ausgeschlossen. Aber wir haben andere Pläne mit Ihnen. Shauna wird sie Ihnen erläutern.« Ich rieb mir die Hände und spürte den vertrauten Adrenalinschub, während ich die ersten Schritte unserer Verteidigung darlegte. » Sie werden unser erster Zeuge sein, Doktor. Zumindest gehe ich im Moment davon aus. Der Prozess beginnt nächsten Mittwoch, am ersten Dezember. Sie kommen gleich als Erster dran, sobald die Staatsanwaltschaft ihre Beweisführung abgeschlossen hat. Also brauchen wir Sie vermutlich Anfang der darauffolgenden Woche – am Dienstag oder Mittwoch.«
Dr. Baraniq hob den Zeigefinger. » Ich möchte Sie daran erinnern, dass ich am Dienstag nach Beginn des Prozesses eine terminliche Verpflichtung habe. Ich hatte das bereits erwähnt.«
Ich stutzte. Das hatte ich tatsächlich vergessen. » Irgendwas, das Sie nicht absagen können«, erinnerte ich mich.
» Eine religiöse Verpflichtung.«
Mist. Sofern wir bis dahin keine entscheidenden neuen Erkenntnisse gewannen, war Dr. Baraniq einer unserer beiden einzigen Zeugen, und er musste unbedingt als Erster aussagen. Diese Reihenfolge war bedeutsam. Wenn die Anklage die Beweisaufnahme am Dienstagabend oder sogar schon am Dienstagmittag abschloss, musste Dr. Baraniq bereitstehen.
» Es tut mir leid, aber ich hatte Sie mehrfach darauf hingewiesen«, wiederholte er.
Meine Enttäuschung war mir ganz offensichtlich anzusehen. Ich hob kurz die Arme und ließ sie wieder fallen. » Tja, wenn Sie Dienstag nicht können, dann können Sie eben Dienstag nicht.«
Mist – es ließ sich nicht anders sagen. Aber es brachte mich auf etwas. Ich entschuldigte mich und zog Shauna mit mir aus dem Raum. Im Flur steckten wir die Köpfe zusammen.
» Er hat uns bereits bei unserem ersten Treffen von seinen Verpflichtungen erzählt, Jason. Aber vielleicht haut es ja terminlich …«
» Ja, ja, schon gut«, sagte ich. » Hör zu. Finde einen Weg, seine Religion ins Spiel zu bringen.«
Sie wich zurück. » Er soll aussagen, dass er muslimischen Glaubens ist?«
» Ganz genau. Das trägt zu seiner Glaubwürdigkeit bei.«
Das schien ihr keineswegs einzuleuchten. » Zunächst einmal«, konterte sie, » hat das überhaupt nichts mit dem Fall zu tun. Und zweitens könnte jemand in der Jury sitzen, der keine Muslime mag. Wie du vielleicht selbst festgestellt hast, gibt es religiöse Fanatiker hier in der Stadt. Wir beide sind mit einigen davon aufgewachsen.«
Natürlich hatte sie recht. Doch sie hatte das Wesentliche nicht begriffen. Ich schüttelte den Kopf. » Alle, die eine Abneigung gegen Muslime haben, werden Tom umso mehr mögen, weil er als amerikanischer Soldat im Irak gekämpft hat. Sie werden ihm helfen wollen. Das bereitet mir also
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