Der falsche Mann
Laufshorts. Er war groß, größer, als sein Foto verriet. Er sprang die fünf Stufen nach unten, öffnete die Pforte, wandte sich nach links in Richtung Osten und schoss los, wie aus einer Kanone abgefeuert.
Natürlich musste ihm Cahill einen gewissen Vorsprung lassen. Er zog sich in den Schatten des Hauses am Anfang der Straße zurück. Kolarich schenkte ihm keinerlei Beachtung, blickte nicht mal in seine Richtung. Er überquerte die Straße und rannte dann nach Norden.
Gut. Vermutlich hielt er auf die Ash zu. Das war die naheliegendste Route: eine große Ost-West-Verkehrsader, die direkt zum See führte.
Es war gut, dass er jetzt Kolarichs Weg kannte, denn er hatte ziemliche Probleme damit, ihm zu folgen. Dieser Kerl sprintete förmlich. Cahill war gut in Form und hätte es jederzeit Mann gegen Mann mit Kolarich aufgenommen – oder noch besser: zwei Männer gegen einen –, aber er konnte unmöglich so schnell rennen.
» Ich glaube, er läuft die Ash runter«, sagte er in das unter seinem Hemdkragen befestigte Mikro. » Verblichenes rotes Sweatshirt, schwarze Shorts. Kopfhörer im Ohr und iPod am Gürtel.«
Durch seinen Kopfhörer tönte es: » Du GLAUBST , er läuft die Ash runter?«
» Er ist scheißschnell. Ich komm nicht hinterher«, brachte Cahill zwischen keuchenden Atemstößen hervor, während er Kolarich hinterhetzte.
Der Weg führte zwei Blocks nach Norden, dann drei nach Osten. Cahill verlor Kolarich aus den Augen und verspürte einen Anflug von Panik, bis aus seinem Ohrhörer die erlösenden Worte drangen.
» Ich hab ihn. Er biegt gerade auf den Seepfad in südliche Richtung ein. Du hast recht, er ist scheißschnell.«
Cahill beruhigte sich ein wenig. Er näherte sich dem Seeufer auf der Ash, die in einem Tunnel unter dem parallel zum See verlaufenden Highway hindurchführte. Während er die Rampe hinunterrannte, kam er wieder zu Atem. Die Sonne ging jetzt über dem See auf und warf einen fluoreszierenden pink- und orangefarbenen Lichtschein auf die Skyline.
Dann tauchte er in das Dunkel des Tunnels ein. Dieser unterquerte den vierspurigen Highway in gesamter Breite und führte noch ein Stück weiter. Der Boden bestand aus nacktem Beton. Überall waren Pfützen und sogar ein bisschen Eis. Der Tunnel hatte die typische Röhrenform und war etwa drei bis vier Meter hoch. An der Decke waren Neonröhren angebracht, doch diese waren außer Funktion. Zwei Obdachlose schliefen auf einer Seite, vergraben unter Decken und dicken Schichten von Kleidern, den Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten neben sich. Die Kälte dämpfte den Geruch ein wenig, dennoch stank es scharf nach Urin.
Als Cahill das Ende des Tunnels erreichte, gabelte sich ein Schotterpfad links in nördliche Richtung und rechts nach Süden. Ging man weiter geradeaus, gelangte man nach zehn Schritten auf den Strand direkt am Seeufer.
Auf der rechten Seite führte eine steile Böschung hinauf zu den Begrenzungszäunen des Highways. Sie war mit dichten Büschen bestanden. Ein perfekter Ort für einen Hinterhalt. Wenn Kolarich aus diesem Tunnel kam und dem Schotterweg nach rechts folgte, würde er wohl kaum den Kopf nach rechts oben zur Böschung drehen.
Sein Partner Dwyer war offensichtlich bereits auf dieselbe Idee verfallen. Er stand auf halber Höhe der Böschung und sondierte die unterschiedlichen Blickwinkel zum Tunnelausgang. Er nickte Cahill zu.
Dwyer war ebenfalls Mitglied des Zirkels. Er war Ex-Soldat wie Cahill, wenn auch unehrenhaft entlassen, nachdem er fünf Jahre wegen sexueller Nötigung im Militärgefängnis gesessen hatte. Dwyer war kein angenehmer Zeitgenosse, bewies jedoch bei der Ausführung von Aufträgen eine eiserne Disziplin.
Cahill hatte für diesen Job einen Partner verlangt. Wenn man jemanden beim Rennen in einen Hinterhalt locken wollte, brauchte man dafür zwei Leute.
» Er ist nach Süden gelaufen«, sagte Dwyer, der jetzt langsam die Böschung herunterstapfte. » Hatte ein ziemliches Tempo drauf.«
Cahill musterte erneut die Anhöhe. » Ist wahrscheinlich nicht leicht, ihn von der Böschung aus zu treffen.«
» Ich kann ein menschliches Ziel aus fünf Metern Entfernung treffen, egal wie schnell es unterwegs ist«, sagte Dwyer. » Und du auch.«
» Aber es soll ja gerade nicht wie die Arbeit eines Scharfschützen aussehen«, sagte Cahill und blickte sich um. » Manning meinte, dass die misstrauisch werden, wenn es den Anwalt erwischt. Es muss wie ein Raubüberfall wirken. Überzeugend.«
» Wer
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