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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Ironie in ihrer Stimme war derart fein, dass selbst ich sie kaum heraushörte.
    »Ob der zu erforschende Gegenstand real existiert, ist überhaupt nicht von Belang, Vika! Nein, es kommt einzig und allein auf die Forschung selbst an.«
    Ich schaute Wassili in das intelligente Gesicht, nickte ihm zu und erhob mein Glas. »Auf die Relevanz des Inexistenten!«
    Wir stießen an.
    »Wir müssen gehen«, meinte Wolodja auf einmal zu seinem Kollegen. »Sag Andrej Petrowitsch … dass unser Zug bald fährt.«
    »Sag es ihm doch selbst!«, blaffte Wassili.
    »Andrej«, rief ich ins Wohnzimmer. »Kommt ihr nicht zu spät zum Zug? Die beiden hier draußen machen sich allmählich Sorgen. «
    Eine peinliche Pause trat ein.
    »Stimmt.«
    Durch die Gardine hindurch beobachtete ich, wie Andrej sich unbeholfen vom Sofa hochstemmte. »Viktoria, du musst unbedingt nach Piter kommen, dann versuchen wir, deinen alten Thesen frischen Glanz zu verleihen. Versprochen?«
    »Ich werde es versuchen.« Vika erhob sich.
    Nedossilow und seine beiden Doktoranden waren schnell aufbruchbereit. Wenn ich etwas an Leuten schätze, dann ist es ihre Fähigkeit, sich ohne langes Gerede zu verabschieden.
    »Es würde mich freuen, euch einmal wiederzusehen, Leonid!« Andrej bedachte mich mit einem außergewöhnlich kräftigen Händedruck. Anscheinend hatte der Abend ihm wirklich gefallen. Wie auch nicht? Wo er doch nach dem umjubelten Auftritt auf dem Kongress hier gleich noch einmal die Gelegenheit bekommen
hatte, vor einer einst vielversprechenden, inzwischen aber vom Alltag und ihrem naiven Mann aufgezehrten Kollegin seinen Sermon abzulassen …
    »Gilt für mich genauso«, erwiderte ich.
    Als ich die Tür hinter unseren Gästen zuschloss, tat ich das übertrieben penibel. Offenbar hatte ich einen über den Durst getrunken.
    »Ljonka …«
    Ich sah Vika an. Sie stand gegen die Wand gelehnt, in sich zusammengefallen und irgendwie sogar gealtert.
    »Mich gibt es nicht«, knurrte ich. »Hat uns das Andrej nicht gerade eben bewiesen? Mich gibt es nicht, und hat es auch nie gegeben. Ich bin eine Legende. Ein Mythos. Ein paar Absätze in der Dissertation von irgendjemandem.«
    Sie sagte kein Wort.
    »Ich bin nie in Al Kabar gewesen. Ich habe den Loser nicht aus dem Labyrinth geholt. Und ich habe mich auch nicht in einem Bordell versteckt, denn die Puffmutter existiert in Wirklichkeit ebenso wenig. Ich bin nur ein Ausdruck der Inkompetenz von Dritten. Ein Mann, der in seinem ganzen Leben noch nicht in der Tiefe gewesen ist, hat das ganz klar bewiesen.«
    »Vergiss nicht, Leonid, dass er wirklich ein bedeutender Wissenschaftler ist …«
    »Bedeutender geht es ja kaum.«
    »Er hat sich mitreißen lassen. Wenn man eine Hypothese für wahr hält, dann verteidigt man sie um jeden Preis. Alles, was nicht zu dieser Theorie passt, wird diskreditiert, und selbst die zweifelhaftesten Fakten noch bewiesen.«
    »Wirklich ein hervorragender Wissenschaftler!«
    »Aber in einem Punkt hat er recht.« Vika sah mir in die Augen. »Es gibt keine Diver. Jedenfalls heute nicht mehr. Das müssen selbst wir anerkennen.«
    Ich hätte jetzt einwenden können, dass ich das längst verstanden und akzeptiert hatte. Doch ich zog es vor zu schweigen.
    »Lass uns morgen aufräumen, ja?«, schlug Vika vor.
    »Okay.«
    »Gehen wir schlafen?«
    »Ich bin noch nicht müde. Überhaupt nicht.«
    »Du Nachteule!«, sagte Vika leise und mit einem zarten Anflug von Spott – und da war mir für einen Moment alles scheißegal.
    Da wollte ich nur noch ins Bett fallen, in der festen Absicht, gleich morgen meine Bekannten anzurufen und sie zu fragen, ob sie nicht einen anständigen Job für mich hätten.
    »Ich bin keine Nachteule«, widersprach ich dann aber. »Genauso wenig wie ich mit dem ersten Hahnenschrei munter werde.«
    »Gute Nacht, Leonid.« Vika drehte sich um und zog sich ins Bad zurück.
    »Gute Nacht«, murmelte ich. Vor zwei Jahren hätte ich im Traum nicht daran gedacht, mich vor meine Kiste zu setzen, während Vika ins Bett ging.
    Wie die Zeiten sich geändert hatten …
    Sobald Vika die Badezimmertür hinter sich geschlossen hatte und das Wasser rauschte, begab ich mich ins Wohnzimmer. Obwohl ich ein bisschen torkelte, zog ich mir dabei schon das Hemd und die Jeans aus und warf beides aufs Sofa. Ich klaubte mir ein Stück Käse vom Tisch und trank einen Schluck Orangensaft.
    Der Sensoranzug war klamm, den hätte ich längst mal ordentlich austrocknen lassen müssen. Ich schloss ihn an

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