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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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virtuelle Welt gekurvt, um deinem Rechner die Zeit zu geben, die Daten jener Adresse zu laden, zu der du wolltest. Daran hat sich auch heute nichts geändert, nur geht es inzwischen viel schneller. Früher bist du dagegen nur durch Deeptown gezuckelt, und je lahmer dein Rechner, je schlechter deine Telefonverbindung war, desto mehr Zeit brauchtest du, um von Punkt A zu Punkt B zu kommen. «
    »Höchst interessant«, bemerkte Nedossilow. »Ich werde das berücksichtigen, vielen Dank. Trotzdem hast du unrecht.«
    »Wieso?«
    »Weil der Mythos dich gefangen hält, Leonid! Du bist, bitte verzeih die Offenheit, viel zu romantisch. Natürlich gibt es gegen Romantik nichts einzuwenden. Natürlich haben die Diver existiert. Aber eben als Mythos. Als Charakteristika eines bestimmten Milieus. Als Symbol. Dabei ist in gewisser Weise sogar von ihrer materiellen Erscheinung zu sprechen, handelte es sich doch um ein gut abgestimmtes Hackerduo. Mehr steckt allerdings
nicht dahinter. Nehmen wir uns doch einmal die bekanntesten Diver-Legenden vor, die bereits zu Beginn der Eroberung des virtuellen Raums geschaffen wurden, im goldenen Zeitalter der virtuellen Mythenkreation. Da haben wir die Legende von der Brücke aus Pferdehaar und dem magischen Apfel Al Kabars, die Legende vom Loser, vom Labyrinth des Todes …«
    »Das hältst du für Legenden?«, fragte ich fassungslos.
    »Jungs!«
    Wir sahen Vika an.
    »Ihr werdet euch doch wohl nicht streiten, oder?« Vika stellte die Teller vor uns hin. »Esst vor dem nächsten Gläschen lieber was. Und du, Ljonka, schenk mir einen Wodka ein.«
    »Du wolltest doch Likör«, brummte ich.
    »Ich hab’s mir anders überlegt.«
    Wir sahen einander an.
    Sie hatte alles gehört. Oder fast alles. Und sie wusste genau, wie ich mich jetzt fühlte.
    In diesem Punkt verstanden wir uns wortlos.
    Trotz allem.
    »Danke, Vika«, sagte ich. »Es ist nicht schön, allein Wodka zu trinken.«
    Wir schafften es sogar noch, einen Toast auszubringen, bevor es an der Tür klingelte.
     
    Irgendwann um elf Uhr abends stand ich mit Wassja und Wolodja, den jungen Doktoranden Nedossilows, auf dem Balkon. Ich hielt ein volles Glas Wodka in der Hand, in meinem Kopf dröhnte es, in meinem Innern war alles leer.
    »Also, was können wir als Ergebnis festhalten?«, drang Nedossilows Stimme aus dem Wohnzimmer heran. »Es ist bewiesen, dass unqualifizierte Programmierer des Vergnügungszentrums Labyrinth des Todes einen Absturz des Servers zu verantworten
hatten. Sie wollten den Fehler natürlich nicht zugeben, denn das hätte für sie eine Abmahnung bedeutet. Deshalb haben sie die Version in die Welt gesetzt, an allem sei ein Diver schuld. Untersuchen wir sämtliche Mythen genauer, stellen wir schnell fest, dass jeder einzelne auf Inkompetenz, Unprofessionalität und Arroganz beruht. Im Mittelalter wurden Epidemien dem bösen Zauber der Hexen zugeschrieben, nicht den Strömen von Fäkalien, die durch die Straßen der Städte flossen. Heutzutage müssen inexistente Diver als Sündenbock herhalten, um …«
    Ich nahm einen tiefen Zug an der Zigarette, die ich von Wolodja geschlaucht hatte. Ich rauchte selten, aber jetzt brauchte ich es.
    Die beiden Nachwuchswissenschaftler hingen ihrem Chef förmlich an den Lippen. Ja, ja, das macht ihr ganz richtig, ihr zukünftigen Profs! Entkräftet ruhig alle Mythen, reißt das Lügengebäude ein und stellt euer eigenes wackliges Haus auf eine solide Grundlage!
    »Aber wozu mussten unbedingt Diver her?«, fragte Vika. »Warum reichten die Hacker nicht aus?« Sie saß bereits seit einer halben Stunde mit einem Glas in der Hand vor Nedossilow und lauschte seiner inspirierten Erzählung.
    Begriff Andrej eigentlich, dass er gerade selbst als Forschungsobjekt für Vika diente?
    »Weil sich alle Programmierer – oder zumindest der überwiegende Teil von ihnen – insgeheim für Hacker halten«, erklärte Nedossilow prompt. »Wälzt man die Schuld also auf die Hacker ab, hieße das letztlich, die eigene Inkompetenz einzugestehen. Ganz anders verhält es sich jedoch mit Divern. Sie repräsentieren eine übernatürliche Kraft, bei ihnen handelt es sich um Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Ihnen zu unterliegen ist keine Schande … Hast du dich nicht selbst auch einmal mit dem Phänomen der Diver beschäftigt, Viktoria?«
    »Ja, aber inzwischen interessiert es mich nicht mehr.«
    »Das ist ein Fehler. Denn es ist höchst faszinierend.«
    »Aber sie existieren doch gar nicht, Andrej.«
    Die

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