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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Sedativum.«
    Ein älterer, sehr distinguierter Gentleman. »Guten Tag, Don.«
    Eine rotblonde Frau mit kurvenreichem Körper. »Hallo, Luisa.«
    Ein unauffälliger Mann in mittleren Jahren. »Hi, Slider!«
    Ein tattriger Alter. »Sei gegrüßt, Proteus.«
    Ein junger, attraktiver Typ. »He, Romeo!«
    Patronen in der Trommel, zerknitterte Kostüme, ein Arsenal voll alter Waffen.
    Oder ist es sogar noch schlimmer?
    Sind es bloß Museumsstücke?
    Ich nehme den Alten vom Haken, und noch während ich ihm in die Augen blicke, die leer, fahl und verhangen sind …
    Mitten in der Verwandlung fällt mir der Körper des unscheinbaren Bikers entgegen, der für Fahrten in Deeptown bestens geeignet ist. Ich fange ihn auf, hänge ihn aber nicht auf den Bügel zurück, sondern stopfe ihn in die Ecke zwischen Schrank und Bett.
    Nach der abgeschlossenen Transformation begutachte ich mich im Spiegel. Dann lege ich die Hände auf mein Gesicht, glätte die Falten, ziehe die Mundwinkel nach oben, begradige die Nase … Ich wachse, kriege breitere Schultern …
    Und schon bin ich kein Alter mehr, sondern ein Mann in mittleren Jahren. Ein ganz normaler Typ, obendrein mit intelligenten Augen.
    Nur behagt er mir trotzdem nicht ganz.
    In diesem Körper fühle ich mich wie von Motten zerfressen und leicht eingestaubt. Die letzten beiden Jahre sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.
    Ich könnte auch zu Luisa mit all ihrem Sexappeal werden. Oder zum rauen Revolvermann. Im Notfall sogar zum Slider, auch wenn ich diesen Avatar hasse.
    Aber irgendwie will mich keine der Figuren so recht überzeugen.
    Die haben alle zu lange auf mich gewartet, treu wie Hunde, gehorsam und stumm. Sie sind müde, die alten Masken des Divers Leonid.
    Dabei sollen sie mir nur einen einzigen Gefallen tun. Der nimmt kaum Zeit in Anspruch, danach würde ich sie nie wieder um etwas bitten …
    Ich greife in die Tasche des fadenscheinigen Jacketts und hole einen Pager raus. Der funktioniert noch, Glück gehabt. Auf dem Ding sind hundert Nachrichten gespeichert, die aktuellste aus dem Frühjahr. Ich lösche sie, ohne sie überhaupt zu lesen.
    Im Unterschied zur realen Welt funktioniert ein Pager in der Tiefe in beide Richtungen. Ich öffne das Adressbuch. Eine endlose Liste baut sich auf …
    Neben dem Namen MANIAC schimmert ein violettes Licht. Maniac ist online, aber im Stress.
    Egal.
    Ich versuch’s trotzdem. Hi, Schura!
    Mein Name ist nicht nötig, er weiß auch so, von wem die Nachricht kommt.
    Bin im Laufe der nächsten acht Stunden in den Drei kleinen Schweinchen und warte auf dich. Versuch zu kommen!
    Kurz starre ich aufs Display, als erwarte ich, er würde sofort antworten. Dann stecke ich den Pager wieder in die Tasche.
    Mehr kann mir meine Vergangenheit vermutlich nicht bieten.
    »Tut mir leid, Revolvermann«, sage ich, als ich den Revolver aus dem Halfter ziehe. »Und all ihr anderen auch … sorry …«
    Daraufhin trete ich ein paar Schritte zurück und eröffne das Feuer.
    Sechs Körper hängen im Schrank – sechs Kugeln stecken im Magazin. Der Körper der schönen Luisa lodert auf und löst sich in Luft auf, der romantische Romeo zerfällt zu Asche, der unvorhersagbare Slider verrottet, der höfliche Don verdampft, und der weise Sedativum geht in einer Funkenwolke auf. Als Letzter kommt der Revolvermann dran. Ich beiße mir auf die Lippe, bevor ich abdrücke.
    Der Körper des Revolvermanns zuckt, als werde er galvanisiert, verschwindet aber nicht.
    Wie auch?! Die eigene Waffe kann ihm nichts anhaben. Ich hätte mit Sliders Stilett oder mit einer Prise Gift von Sedativum gegen ihn vorgehen müssen. Nur gibt es die schon nicht mehr.
    Proteus jedoch, in dessen Körper ich gerade stecke, mordet mit bloßen Händen – was ich beim Revolvermann nicht über mich bringe.
    Nicht einmal unter meine eigene Vergangenheit kann ich ohne fremde Hilfe einen Schlussstrich ziehen.
    Nach kurzem Zögern schnappe ich mir deshalb den Körper vom Revolvermann, nehme auch den des unscheinbaren Bikers an mich und stapfe mit beiden durch den Gang zu meinem
aktuellen Zimmer. Als ich die Tür aufschließe, registriere ich an der Treppe eine rasche Bewegung. Sofort spähe ich in den halbdunklen Flur hinunter.
    Nichts. Anscheinend habe ich mich getäuscht.
    Beide Körper fliegen aufs Bett. Nach der Landung kehren der Biker und der Revolvermann einander die Gesichter zu und begaffen sich eifersüchtig.
    War’s das?
    Noch nicht ganz.
    Ich verlasse das Zimmer und schließe ab. Nach

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