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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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quadratischer Nacken mit stoppelkurzem Haar auf, schimmerten die Lämpchen am Armaturenbrett. Die Klimaanlage rauschte leise, der Motor war abgestellt.
    Natürlich hatte Dschingis mich nicht selbst nach Hause gebracht, sondern seinen Fahrer beauftragt. Oder einen seiner Bodyguards.
    Vermutlich Letzteres.
    »Sind wir schon da?«, fragte ich und sah mich um.
    »Die Adresse stimmt«, sagte der Fahrer. »Den Rest musst du wissen, ich fahre dich ja zum ersten Mal.«
    »Gehst du etwa davon aus, dass du noch öfter Gelegenheit dazu haben wirst?« Ich sah auf die Uhr. Wie sollte ich das verstehen? Von Dschingis war ich um zwei Uhr nachts aufgebrochen. Jetzt war es vier Uhr morgens. Der Weg dauerte doch wohl keine zwei Stunden!
    »Klar«, antwortete der Fahrer. »Du hast ihm anscheinend gefallen, also wirst du ihn noch öfter besuchen …«
    »Und wenn ich darauf keine Lust habe?«
    Der Fahrer lachte kurz auf. »Den musst du mir mal zeigen, der Dschingis nicht gern besucht.«
    Da hatte er recht. Wenn Dschingis jemanden mochte, würde er ihm garantiert jeden Wunsch erfüllen. Für den einen Bier und Würstchen in der Küche, für den anderen einen hochherrschaftlichen Empfang mit erlesenem Champagner, Kaviar und Stör.
    »Stehen wir schon lange hier rum?«
    »Anderthalb Stunden. Dschingis hat mir aufgetragen, dich nicht zu wecken, wenn du einschläfst. Jedenfalls nicht vor fünf.«
    »Na, dann werd ich jetzt mal gehen«, murmelte ich.
    »Gut.« Der Bodyguard stieg aus, und als ich aus dem Fond des bescheidenen Fords geklettert war, nahm er mich bereits in Empfang.
    »Mein Aufgang ist gleich da drüben«, versuchte ich seine Begleitung abzuwimmeln. »Und ich bin keine wehrlose Frau, dass du mich bis vor die Tür bringen musst.«
    »Befehl ist Befehl«, erklärte der Fahrer bloß. Da gab ich Ruhe.
    Das war schließlich seine Arbeit.
     
    Ich öffnete die Tür mit der Geschicklichkeit eines erfahrenen Einbrechers, notorischen Trinkers oder jungen Hackers. Auf Zehenspitzen trat ich ein, verriegelte beide Schlösser absolut lautlos und schaltete nicht mal das Licht an.
    Es war alles ruhig. Dabei mussten nachts doch die Ventilatoren des Computers rauschen, die Festplatte surren, die Tastatur klackern … Ob Vika mir deshalb ein Touchkeyboard geschenkt hatte?
    Im Bad spritzte ich mir schnell etwas kaltes Wasser ins Gesicht, anschließend schlich ich ins Wohnzimmer, zog mich aus und legte meine Sachen möglichst ordentlich aufs Sofa. Dann öffnete ich die Schlafzimmertür.
    Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit.
    Vika saß auf der Bettkante, der schwache Widerschein des Monitors ihres Notebooks fiel auf ihren dunkelblauen VR-Helm. Der war zwar nicht topmodern, aber sehr ausgereift, sodass Kenner den Creative Diana selbst heute, zwei Jahre nach seiner Markteinführung, als Spitzenmodell für Frauen schätzten. Fünfhundert Dollar hatte ich damals dafür hingeblättert. Vikas Körper zuckte leicht, ein Echo auf die Bewegungen, die sie machte. Hin und wieder berührte ihre Hand die Tasten, manchmal zog sie sie gleich zurück und presste sie an die Brust.
    Vika war in der Tiefe .
    Ein Anblick, der schön und erschreckend zugleich war. Der betörende Tanz eines Körpers, der nicht in dieser Welt weilte. Vika hatte den Kopf in den Nacken gelegt – und schaute in den Himmel hinauf. Oder auch gegen eine Decke, keine Ahnung. Unter dem elastischen Band, mit dem der Helm unterm Kinn verschlossen wurde, schimmerte ein Streifen weißer Haut.
    »Nein«, hörte ich sie sagen. »Das interessiert mich nicht.«
    Sie war schon sehr lange nicht mehr in der Tiefe gewesen, hatte ihre Besuche dort völlig aufgegeben.
    Was hatte sie dazu gebracht, in diese Scheinwelt zurückzukehren?
    Ich könnte zu ihr gehen und mich über ihre Schulter beugen. Oder mich neben sie setzen. Die Lautstärke vom Notebook hochdrehen.
    Dann würde ich Zeuge eines Zeichentrickfilms, der für Vika absolute, erschreckend authentische Realität war. Ich könnte mir ein Bruchstück aus ihrem Traum ansehen, ohne dass sie es merken würde. Außerdem brauchte sie relativ lange, um aus der Tiefe aufzutauchen, durchschnittlich zehn Sekunden – also genug Zeit für mich, um mich zu verkrümeln.
    Ach, Nedossilow, du kluger, du überschlauer Kerl. Eines hast du einfach nicht begriffen, als du diese Theorie über Diver-Pärchen entwickelt hast, über den einen mit dem Helm und den anderen am Bildschirm.
    Niemand lässt jemals irgendwen in seinen Traum hinein.
    Nicht einmal den

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