Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
nur lauten, ob er sich die Dateien ansehen konnte. Ob er dahintergekommen ist, worum es bei der Sache überhaupt ging.
Sofern er keine weiteren, in den Text selbst eingebauten Passwörter knacken musste, wäre das durchaus denkbar.
Zum Beispiel als er im Büro eingeschlossen war und auf Bastards Hilfe wartete. Denn da hatte er bereits Zugang zu den Daten. Da stand er vor dem offenen Safe, mit dem Icon in der
Hand. Keine Ahnung, wie das ausgesehen hat, vielleicht war es ein Apfel wie in Al Kabar. Vielleicht aber auch eine Diskette oder ein simpler Aktendeckel aus Pappe. Und in dem Fall hätte Romka bestimmt mal reingeguckt.
Das, was er entdeckt hat, muss ihm dann schier den Verstand geraubt haben, sodass er keinen Gedanken mehr an seine Sicherheit, seinen Rechner oder Bastard, der seinen Rückzug deckte, verschwendete, sondern nur noch floh. Mit, wie es Bastard beschrieben hat, angstgeweiteten Augen.
»Worauf bist du bloß gestoßen, Romka?«, flüstere ich. »Was hat dich so erschreckt?«
Was hat dich umgebracht?
Ich lecke mir über die Lippen und verpasse einer herumliegenden Flasche einen Tritt.
Deeptown kommt ohne Straßenkehrer aus, jede leere Flasche verschwindet nach ein paar Stunden von selbst.
Wenn ich nur an diese Dateien rankäme! Sie stellen den Schlüssel zu diesem Rätsel dar. Sie führen zu demjenigen, der den Hack in Auftrag gegeben hat. Zu demjenigen, der Romka erschossen hat. Zu demjenigen, der den Befehl gegeben hat, das Feuer zu eröffnen. Zu demjenigen, der eine Waffe der dritten Generation entwickelt und den Security-Leuten gegeben hat.
Den Weg zu New boundaries kann ich mir in diesem Zusammenhang sparen. Nach dem Hack würden die ihre Sicherheitsmaßnahmen nur noch verschärft haben. Vor allem da es nicht nur ein versuchter, sondern ein höchst erfolgreicher Hack gewesen ist. Da kann selbst Bastard noch so sehr angeben und tönen, er würde an sämtliche Daten der Firma rankommen, einschließlich der Personalakten der Mitarbeiter und der gefälschten Steuererklärungen. Oder eben eines harmlosen Geschäftsprojekts. Doch auch er würde nun scheitern. Sogar wenn er Freunde um Hilfe bittet. Den perfekten Schutz gegen Einbruch, den gibt es nämlich
doch – und diese Firma kann ihn sich leisten: Sie bräuchte bloß die Abteilung, die sich mit dem Sweet Immersing -Projekt befasst, von der Tiefe abzukoppeln.
Und dann sollte doch mal bitte schön jemand versuchen, da einzusteigen.
Was ist das überhaupt für ein Name für ein Projekt? Süßes Eintauchen . Es schmeckt mir nicht, wenn etwas überzuckert ist.
Aber ich würde den Bäcker schon finden, dessen Torten nach Bittermandel duften.
Dreimal lege ich den Weg von New boundaries zum Gates-Platz zurück. Beim ersten Mal sehe ich mich lediglich aufmerksam in der Gegend um. Beim zweiten Mal verlasse ich die Tiefe und studiere den ungeschminkten Aufbau der Gegend. Beim dritten Mal scanne ich den Weg, und zwar abermals in der virtuellen Welt, um Spuren des Hacks zu entdecken.
Nichts.
Zumindest nicht bei oberflächlicher Sondierung.
Daraufhin nehme ich mir ein Taxi zu den Drei kleinen Schweinchen . Meine Uhr – vor allem aber mein Bauch – sagt mir, dass es Zeit fürs Frühstück ist.
»Die Straßen sind völlig verstopft«, teilt mir der Fahrer mit. »Haben Sie es eilig?«
»Nein.«
Ich habe nicht die geringste Lust, etwas für die Nutzung von Reservekanälen des Deep-Explorers hinzublättern. Abgesehen davon brauche ich Zeit zum Nachdenken.
Wie hätte ich mich verhalten, wenn ich mit Daten auf der Flucht wäre, die die virtuelle Welt auf den Kopf stellen? Wenn mir die Zeit fehlt, sie auf meinen Rechner zu überspielen? Wenn es weit und breit keinen Schlupfwinkel gibt, in dem ich sicher wäre? Hätte ich dann die heiße Ware versteckt?
Nein, das hätte auch nichts gebracht. Denn in dem Fall hätten die Programmierer der Firma mir den Zugriff auf die Daten in null Komma nichts unmöglich gemacht. Hätte ich den Apfel aus Al Kabar damals nicht gleich auf meinen Rechner gepackt, wäre er mir vor der Nase vergammelt.
Also muss Romka die Daten jemandem übergeben haben. Und er muss diesen Jemand gebeten haben, sie für ihn zu überspielen und aufzubewahren. Er muss einen Bekannten getroffen haben.
Nur bringt mich diese Erkenntnis nicht weiter. Ich weiß nicht, wer seine aktuellen Freunde sind. Ich kenne niemanden außer Bastard – und der hat Romka in der realen Welt auch nur ein paarmal getroffen.
Was tun? Soll ich jetzt etwa
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