Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Küche.
»Gut, ich lass dich jetzt allein.« Inzwischen steuert bereits der nächste Gast auf die Bar zu. »Ich komm nachher noch mal zu dir, ja?«
»Was hört man denn so über diesen arbeitenden Diver?«
»Nichts Konkretes«, erwidert Andrej. »Es soll irgendein Diver in Deeptown arbeiten. Offenbar seit einem Jahr.«
Wie blöd bin ich eigentlich?!
Dass ich ein ganzes Jahr lang nichts über einen Kollegen erfahre, der einen Ausweg aus dieser Misere gefunden hat!
Am meisten zermürbt mich jedoch, dass das ein schlechtes Zeichen ist. Wenn alle Diver wieder aktiv wären, würde selbst ich das wissen. Also schottet sich der Dark Diver irgendwie ab.
Verdammt schlecht.
Für wen genau, das würde sich noch zeigen.
Ich sehe mich nach einem freien Tisch um und plötzlich bemerke ich ein bekanntes Gesicht.
An einem der Tische sitzt, die Beine zusammengepresst und mürrisch auf den Teller stierend, ein rotblonder Junge.
Ich gehe zu ihm und nehme ihm gegenüber Platz. »Warum bist du nicht auf der Arbeit?«, will ich wissen.
Ilja linst mich von unten herauf finster an. »Wer bist du überhaupt? «, fragt er.
Ach ja, richtig.
»Leonid. Der Spind links neben deinem.«
»Oh!« Nun gewinnt Freude die Oberhand. »Hallo, Ljonka. Wieso hast du dich so aufgebretzelt?«
»Ich kann ja wohl schlecht mit einem Motorradhelm durch die Gegend spazieren.«
Ilja mustert mich skeptisch. »Eine Durchschnittsvisage. Du kannst wirklich nicht zeichnen. Aber besser als der Biker.«
»Danke, das tröstet mich«, sage ich. Der Kellner bringt mir bereits mein Essen. Gebratene Schweinshaxe ist einfach köstlich. Und hier wird sie serviert, wie es sein muss, auf einem Holzbrett, das von Messern zerkratzt ist, mit einem Berg Meerrettich und Senf, Zwiebeln und Gurken.
Natürlich ist das nicht ganz das geeignete Frühstück. Aber da ich die Nacht durchgemacht habe, kann die Mahlzeit vielleicht als spätes Abendessen durchgehen.
»Ekelhaft«, stößt Ilja aus und glotzt angewidert auf mein Essen.
»Wenn was ekelhaft ist, dann das Zeug, das du in dich reingestopft hast«, gebe ich zurück. Die leeren Saucenpäckchen deuten darauf, dass Ilja in den Drei kleinen Schweinchen Hamburger von McDonald’s gegessen hat. Aber gut, jedem das Seine.
Ich schneide ein großes Stück von dem weichen, saftigen Fleisch ab, lasse es in meinem Mund verschwinden und spüle es mit einem gewaltigen Schluck Bier herunter.
»Trotzdem guten Appetit«, murmelt Ilja und steht auf.
»Warum bist du eigentlich nicht auf Arbeit?«, frage ich noch mal, während ich die Schweinshaxe zerlege.
»Mensch, dich hab ich ja noch gar nicht gefragt!«, ruft Ilja. »Hast du schon mal was vom Diver-in-der- Tiefe -Tempel gehört?«
Prompt verschlucke ich mich an meinem Fleisch und kriege einen Hustenanfall. »Mhm«, brumme ich, »hab ich.«
»Echt?« Ilja setzt sich wieder hin. »Dann erzähl mal! Wo ist er? Und bestell mir ein Bier, ja!«
Nach einem weiteren großen Schluck winke ich den Kellner heran und versuche, Ordnung in meine Gedanken zu bringen.
Irgendwie wird heute zu viel von Divern geredet. Das solltest du dir mal anhören, Nedossilow, du Historiker und Theoretiker, du Meister der klugen Worte.
»Willst du etwa behaupten, du hättest noch nie von diesem tollen Lügenmärchen gehört?«, frage ich. Sehr scharf. Ohne es zu wollen, schlage ich einen aggressiven und zynischen Ton an, eine instinktive Abwehrreaktion.
»Doch, schon, aber viel zu wenig.«
»Vor zwei Jahren wurde in Deeptown von nichts anderem gesprochen. «
»Damals bin ich noch nicht in der Tiefe gewesen. Also, los, erzähl schon!«
»Damals sind alle Diver krepiert«, hole ich aus.
»Echt?« Er reißt die Augen auf.
»Irgendwie schon.« Ich schiebe das Meisterwerk des virtuellen Kochs, zubereitet aus einem nicht weniger virtuellen Schwein, von mir. »Wenn du so willst. Jedenfalls … braucht sie seitdem niemand mehr.«
»Erzähl! Von Anfang an!«
Ich sehe Ilja fassungslos an. Hat er wirklich von nichts einen Schimmer? Verpufft der Ruhm so schnell?
»Niemand, der damals die Tiefe besucht hat, konnte sie aus eigener Kraft verlassen«, erkläre ich.
»Das weiß doch jeder!«
»Soll ich nun alles von Anfang an erzählen oder nicht?«, blaffe ich ihn an. »Dann hör also auch von Anfang an zu!«
01
Es ist, als ob du eine Eiterbeule ausdrückst. Es tut weh, ist widerlich – aber es bringt auch Linderung.
»Das Deep-Programm, das Dmitri Dibenko entwickelt hat, versetzt den Menschen in eine
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