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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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trifft das in diesem Fall nicht zu. Dieses Unglück kannst du nicht verhindern, es hat längst seinen Lauf genommen. Du, Schurka, die ganze Hacker-Gang – ihr tretet alle viel zu spät auf den Plan. Lass uns der Wahrheit ins Gesicht sehen.«
    »Welcher?«
    »Deeptown lebt nach seinen eigenen Gesetzen – aber das sind die Gesetze von uns Menschen. Anders ginge es gar nicht. Vor ein paar Jahren war die virtuelle Welt noch ein Kind. Mit all der Begeisterungsfähigkeit und all der Grausamkeit eines Kindes. Mit Raufereien im Sandkasten. Wenn du mir mit dem Eimerchen eins überziehst, dann haue ich dir mit dem Schäufelchen auf den Popo. Mit Doktorspielen, Prügeleien, Schmollereien, Märchen von der schwarzen Hand und dem blutigen Laken. Aber irgendwann ist die Kindheit zu Ende. Und heute ist Deeptown erwachsen. Damit sieht die Sache völlig anders aus. Leonid … in der Tiefe hat die normale Welt der Menschen Einzug gehalten. «
    »Zu töten – ist das normal?«
    »Ljonka, wir reden hier nicht davon, was gut ist und was schlecht. Wir reden von dem, was üblich ist. Und zum Leben der Menschen gehören Krieg und Mord nun einmal dazu. Man kann nicht immer nur im Labyrinth des Todes oder in der Arena von Duel to Death Dampf ablassen. Ein kleiner Junge kann mit einer
Plastik-MP durch die Gegend laufen, aber sobald er achtzehn Jahre alt ist, kriegt er eine echte Waffe in die Hand gedrückt. Der Tod musste zwangsläufig nach Deeptown kommen. Und nun ist er da.«
    Vika verstummte. Sie klopfte die Asche auf die Zeitung ab, die auf dem Sofa lag.
    Die Geschichte nahm sie doch mehr mit, als sie zugab.
    »Schlag doch mal die Zeitung auf! Was liest du da auf der ersten Seite? Ein besoffener Kerl ist nach Hause gekommen, hat weiter getrunken, seine Frau aufgeschlitzt und seine kleinen Kinder aus dem Fenster geschmissen, dann hat er noch ein Glas getrunken, sich auf seine Schwiegermutter gestürzt, sie aber nicht erwischt. Dann hat er die letzte Flasche leergemacht und sich im Klo aufgehängt. Die US-Air Force hat eine Friedensmission nach Europa entsandt. Dabei wurden zwanzig militärische Ziele zerstört, einschließlich einer Keksfabrik, eines Krankenhauses und eines Wohnviertels. Arabische Terroristen haben eine Bombe in einem Passagierflugzeug gelegt. Um gegen eine andere Friedensmission zu protestieren.«
    »Ich lese keine Zeitungen.«
    »Ljonka …« Vika seufzte. »Ljonka, mein Liebster, du liest sie eben doch. Du schnappst hier und da etwas auf und reimst dir den Rest zusammen. Man kann sich nicht immer in der Tiefe verstecken. Ich versteh ja, dass du das möchtest. Aber es klappt nicht. Früher oder später musste jemand eine echte Waffe nach Deeptown einschleppen. Und jetzt, wo das geschehen ist, musst du eine Entscheidung treffen. Was ist für dich Realität, was Fiktion? Wenn es keinen Unterschied gibt, dann leb weiter in der Tiefe . Ist es am Ende nicht egal, wie wir sterben? «
    Es klingelte an der Wohnungstür.
    »Das ist Bastard«, informierte ich sie.
    »Wer?«
    »Bastard. Ein Hacker, ich habe dir von ihm erzählt.«
    »Hättest du mich nicht warnen können?« Vika stand auf und sah sich rasch im Zimmer um, als hoffte sie, in zwanzig Sekunden aufräumen zu können. »Dass er kommt, meine ich.«
    »Tut mir leid.« Ich erhob mich. »Hab ich vergessen.«
    »Geh aufmachen!« Vika strich sich übers Haar. »Na, los, es ist dein Freund, worauf wartest du denn?«
    Mhm.
    Wenn doch bloß Dschingis gekommen wäre …
    Bei der Vorstellung, wie Bastard mit seinem Gebrüll und seinen Flüchen in die Diele stürmt und sie in Beschlag nimmt, wie er aus einer alten Tasche zwanzig Flaschen Shiguljowskoje zieht, hätte ich am liebsten nicht aufgemacht.
    Nur dass Bastard dann womöglich die Tür mit der Schulter eingedrückt hätte. Vorsichtshalber. Falls ich das Klingeln nicht gehört hatte.
    Ich seufzte schwer, ging zur Tür und schloss auf.
    »Guten Abend, Leonid«, begrüßte mich Bastard mit gedämpfter Stimme. »Du hast doch nicht zu lange warten müssen?«
    Obwohl ich es mir fest vorgenommen hatte, Vikas Anwesenheit zu erwähnen, verkniff ich mir die Bemerkung, dass meine Frau zu Hause sei und er deshalb bitte keine vulgären Ausdrücken durch die Gegend brüllen solle, und bat ihn herein.
    Bastard trat sich die Füße ab und kam herein.
    In einer Hand hielt er einen großen Strauß Teerosen, in der anderen eine riesige Tasche. Ob es die war, in der er versucht hatte, die Nutte in Dschingis’ Wohnung zu schmuggeln?
    »Ist

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