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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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bin überhaupt ziemlich altmodisch. Wie läuft’s bei dir?«
    Ilja winkt bloß mit finsterer Miene ab.
    »Willst du den Brief vielleicht zurückgeben?«, frage ich in beiläufigem Ton.
    »Wie kommst du denn darauf?«, empört er sich. »Natürlich nicht. Du willst wohl selbst zum Tempel gehen, was?«
    »Ich will dir helfen«, erwidere ich.
    Damit wäre das Angebot auf dem Tisch. In Iljas Blick spiegeln sich Misstrauen und die Entschlossenheit, den Diver-in-der- Tiefe -Tempel selbst zu finden.
    Woher soll der Junge auch wissen, dass die Apokalypse bereits vor der Tür steht?
    »Ich schaff das schon allein.«
    »Ilja, jetzt hör mal zu«, bitte ich ihn. »Ich habe Verbindung zu einem Diver … Der kann mir sagen, wo der Tempel …«
    »Den brauch ich nicht! Ich bin mit ein paar Hackern befreundet! Die finden den Tempel in ein paar Stunden!«
    Hört, hört.
    »Warum rennst du dann schon zwei Tage mit dem Brief durch die Gegend?«
    »Weil sie gerade beschäftigt sind. Sehr beschäftigt sogar.« Ilja sieht mich finster an. »Ich kann dir nicht sagen, was sie machen … das ist zu abgefahren.«
    O ja, er ist wirklich noch ein Kind.
    Was auch immer Maniac getan hat – ich habe davon immer erst im Nachhinein erfahren. Obwohl ich sein Freund bin. Aber Hacker, die sich mit den abgefahrenen Sachen brüsten, an denen sie gerade basteln …
    »Okay.« Ich zucke die Achseln. »Aber wenn der Empfänger den Brief nicht annimmt, weil du ihn zu spät ablieferst, dann stehst du ganz ohne Verdienst da.«
    »Warte!« Ilja schließt seinen Spind schnell ab. »Wie viel willst du?«
    »Die Hälfte.«
    »Du spinnst wohl!« Er zeigt mir einen Vogel. »Für wie blöd hältst du mich eigentlich?!«
    »Du kriegst hundertfünfundzwanzig Dollar für diesen Brief«, wiegle ich ab. »Sagen wir also fünfzig für mich.«
    »Nein!«
    Seinem Ton nach zu urteilen ist Ilja nicht verhandlungswillig.
    »Wie viel rückst du denn freiwillig raus?«
    Er denkt eine Minute nach. Offenbar ist das die entscheidende Frage.
    »Fünfundzwanzig Dollar«, antwortete er mit der Miene eines Jungen aus Sparta, der gerade den eigenen Finger durchgebissen
hat, um seinen Feinden Angst einzujagen. »Und keinen Cent mehr.«
    Jetzt ist die Reihe an mir, eine Entscheidung zu treffen.
    »Ich bin nicht gierig«, erklärt Ilja unvermittelt. »Aber meine Soundkarte ist hundsmiserabel. Eine gute kostet hundert Dollar. Aber die ist dann auch verdammt gut.«
    Himmel hilf! Ich bin weder auf hundert noch auf fünfundzwanzig oder zehn Dollar seines Verdienstes scharf. Wenn alles klappt und er den Brief am Bestimmungsort abliefert, werde ich keinen Cent von ihm nehmen.
    Dieses Gefeilsche ist nur nötig, um ihm klarzumachen, dass es mir ernst mit der Sache ist. Dass ich ihm sagen würde, wo der Tempel steht, damit er den Brief abgeben kann – und er nicht im Archiv zur Aufbewahrung landet.
    Vertrauen würde er mir jedoch nur in zwei Fällen: Wenn ich sein Freund bin oder wenn ich als sein Geschäftspartner auftrete.
    Um mich mit ihm anzufreunden, fehlt mir die Zeit.
    Also muss ich zu seinem Geschäftspartner werden.
    »Abgemacht«, sage ich. »Sobald ich diesen Diver gefunden und die Adresse vom Tempel herausgekriegt habe, sage ich dir Bescheid. Einverstanden?«
    Ilja nickt, und wir besiegeln das Geschäft per Handschlag.
    »Aber wenn meine Freunde die Adresse eher rausfinden, kriegst du nichts!«, stellt Ilja noch schnell klar.
    »Versteht sich doch von selbst«, stimme ich zu. »Lass uns am besten die Adressen unserer Pager tauschen … dann kannst du mich gegebenenfalls informieren, damit ich nicht umsonst weitersuche. «
    »Okay.«
    Ich speichere seine Nummer, er meine.
    »Wann bist du normalerweise in der Tiefe ?«, will ich wissen.
    »Morgens und abends. Und nachts.«
    »Was ist tagsüber?«
    »Da muss das Telefon frei bleiben«, erklärt Ilja unzufrieden.
    Der arme Kerl. Er geht noch übers Modem ins Internet …
    »Wenn ich nicht arbeite, bin ich in der Kneipe Zum toten Hacker «, sagt Ilja. »Aber die lassen nur Hacker rein.«
    »Cool«, bemerke ich. »Schade … dass ich kein Hacker bin.«
    »Du kommst rein, wenn du das Passwort nennst«, beruhigt mich Ilja. »Ich geb’s dir. Aber vergiss nicht, dass es streng geheim ist.«
    »Ich verspreche, es niemandem zu sagen.«
    »Herz und Liebe!«, raunt mir Ilja feierlich zu.
    Ich muss ein Lachen unterdrücken. Ein Passwort, dass auch nur den geringsten Sinn hat, ist kein Passwort mehr. Als der militärische Zufallsgenerator einmal

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