Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
als Passwort den klaren Satz von dem Affen ausgespuckt hat, der imstande war, Krieg und Frieden zu schreiben, ist in der ganzen ehemaligen UdSSR Panik ausgebrochen.
»Dann ist ja alles klar!«
Nun wäre wirklich alles erledigt – abgesehen von jener Kleinigkeit natürlich, die darin besteht, den Tempel zu finden. Ich sehe auf die Uhr: Es ist zehn vor zehn.
»Ich muss los«, teilt mir Ilja mit.
»Ich auch«, erwidere ich. »Ich will eine Runde spielen.«
»Was spielst du?«
»Labyrinth des Todes.«
»Das ist doch Kinderkram«, speit Ilja verächtlich aus. »Klar, als ich klein war, habe ich das auch gespielt. Aber jetzt arbeite ich.«
»Meine Arbeit verlangt von mir, das Labyrinth des Todes zu durchlaufen.«
Sicher, es ist gemein von mir, seinen Neid zu wecken. Aber immerhin habe ich nicht gelogen.
Diesmal öffnet mir Bastard die Tür von Dschingis’ Wohnung. Er hält eine Mossberg Mariner in der Hand, ein beeindruckendes Gewehr, wie es auch die reale Polizei benutzt. Wahrscheinlich ist das virtuelle Pendant nicht weniger gefährlich.
»Bist du das?«, fragt Bastard.
»Siehst du das nicht?«
»Als ob ich mich noch darauf verlassen kann, was ich sehe«, blafft Bastard. »Was für einen Prozessor habe ich dir gestern eingebaut? «
»Einen mit tausendzweihundert Megahertz.«
Bastard zögert trotzdem noch, mich reinzulassen. Der golden schimmernde Lauf des Gewehrs bleibt auf meinen Bauch gerichtet.
»Was habe ich dir mitgebracht?«
»Bier. Und für Vika Blumen.«
»Was für Blumen, was für Bier?«
»Ein Strauß cremegelber Rosen, und Jaroslawskoje.«
»Komm rein, Ljonka!«
Das würde wohl in Zukunft immer so sein: dass wir erst einmal Erinnerungen austauschen, wenn wir uns in der Tiefe begegnen. Der Dark Diver hatte uns mit seinem Auftritt einen zu großen Schrecken eingejagt …
Heute haben sich alle in der Bibliothek versammelt. Es ist ein sehr schöner Raum. Angesichts der unzähligen Bücher kommen mir merkwürdige Gedanken. Ein solches Zimmer in der Tiefe einzurichten ist in der Regel ja gar kein Problem, denn sobald ein Buch erscheint, liegt es auch irgendwann in digitaler Form vor. Sollte Dschingis eine solche Bibliothek jedoch auch in der realen Welt besitzen … All die Regale, die bis unter die Decke reichen, voll mit Klassik, Science Fiction, Krimis, Bildbänden, Nachschlagewerken, Enzyklopädien, Minibüchern und Reprints …
Kein Wunder, dass er nicht mehr als Hacker arbeitet. So viel zu lesen und dabei sein professionelles Niveau als Hacker zu halten – das wäre schlicht und ergreifend ein Ding der Unmöglichkeit. Und nach meinem Dafürhalten stehen diese Bücher hier nicht, um das Interieur aufzupeppen.
Das Zimmer ist langgestreckt, an der Stirnseite liegen zwei Fenster, deren Gardinen vorgezogen sind. Sie rahmen einen Kamin ein, in dem ein Feuer lodert. Um ihn herum haben sich die anderen gruppiert. Pat sitzt auf dem Fußboden und hat die Arme um die Knie geschlungen. Er blickt finster wie eine Gewitterwolke und nickt mir kaum merklich zu. Offenbar hatte er gestern eine ernste Unterhaltung mit Dschingis.
Dschingis lümmelt in einem Sessel herum. Er trägt einen Bademantel und wirkt völlig entspannt. Die in seiner Hand glimmende Zigarre rundet das Bild ab: ein Bourgeois, wie er im Buche steht.
»Nun sieh dir den an!«, grummelt Bastard denn auch gleich. »Wie der sich rumflätzt! Dieser Bourgeois! Dieser gottverfluchte Hedonist!«
Diese Einstellung hält Bastard allerdings nicht davon ab, sich in den zweiten und letzten Sessel zu setzen, ja, mehr noch: Er zündet sich auch sofort selbst eine Zigarre an.
»Guten Tag, Leonid«, begrüßt mich Dschingis. »Mach’s dir bequem. «
Maniac steht am Kamin, die Arme vor der Brust verschränkt, und nickt mir mit einem angedeuteten Lächeln zu. Er ist ganz in Schwarz gekleidet, auf seinem Kopf sitzt eine schwarze Baskenmütze.
»Dann wären wir also alle versammelt«, sagt Dschingis, nachdem ich mich ohne viel Federlesens neben Pat auf den Boden gesetzt und die Hände Richtung Kamin ausgestreckt habe. »Beginnen wir damit, unsere Taktik zu diskutieren?«
»Zunächst mal sollten wir wohl über das reden, was gestern geschehen ist«, erwidert Maniac leise. »Das erscheint mir vordringlich. «
Da mir auffällt, dass er auf etwas hinter meiner Schulter schielt, ducke ich mich weg. Gerade noch rechtzeitig.
»Hallo, Ljonka!«, schreit es da. Jemand will mich offenbar von hinten überfallen. Die Schulter, auf die er sich zu stürzen
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