Der falsche Zeuge
Hermundur fort.
Als ob er meine Zweifel seinen Anordnungen gegenüber gleich aus dem Weg räumen wollte. Obwohl ich noch gar nichts gesagt habe.
Einen Augenblick später sehe ich, dass Dagfinnur niedergeschlagen wirkt.
Was ist denn jetzt los?
»Es sitzt nur ein Mann im schwarzen Auto«, sagt er, »und das ist nicht Ingi.«
»Unmöglich!«, ruft Hermundur und reißt Dagfinnur den Telefonhörer aus der Hand.
Er spricht direkt mit den Schwarzjacken vor Ort. Fragt und hört mit wachsender Ungeduld zu.
»Nehmt den Fahrer sofort fest«, ordnet er an, »und durchsucht dann das Auto nach drei Sporttaschen.«
Wir warten angespannt.
»Na dann«, sagt Hermundur. »Überführt das Auto und den Festgenommenen nach Reykjavik und achtet darauf, dass er mit niemandem Kontakt aufnehmen kann. Verstanden?«
Irgendwas ist total schief gelaufen.
36
Der irre Ingi ist verschwunden.
Der Stoff auch.
Die Goldjungs sind davon überzeugt, dass er hinter dem Steuer des schwarzen BMWs gesessen hat und mit diesem an Nesjavellir vorbeigefahren ist. Da waren mit Sicherheit zwei Männer im Auto.
Aber jetzt nicht mehr.
Hermundur hat alle Straßen sperren lassen, die vom Grafningsvegur zwischen Nesjavellir und Ljósafoss abgehen. Und den jungen Kerlen des Sondereinsatzkommandos befohlen, das Gebiet südlich des Thingvallavatns nach Ingi und dem Rauschgift zu durchkämmen. Sie sollen einen Blick in jedes einzelne Sommerhaus in dieser Gegend werfen.
Wir sind auch auf dem Weg nach Thingvellir. Hermundur scheint es wichtig zu sein, so schnell wie möglich zum Einsatzgebiet zu kommen, um seine Männer vor Ort befehligen zu können.
Der Jeep rast durch die dunkle Lavalandschaft, hinein in die abgelegenen ländlichen Gebiete, wo die Schwärze der Nacht noch in der Übermacht ist.
Die hellen Lichter der Städte am Faxaflói haben wir hinter uns gelassen. Der Regen wird ständig stärker, je weiter wir nach Osten kommen. Klatscht von außen auf das Auto wie eine kräftige Dusche.
Ich konzentriere mich auf das Rätsel, das wir so schnell wie möglich lösen müssen: Wo ist das verdammte Rauschgift?
Zuerst gilt es herauszufinden, warum Ingi genau an dieser Stelle aus dem Auto gestiegen ist. Er wird doch wohl kaum selber diese teure Sendung stehlen wollen?
Nein, zum Kuckuck.
Selbst der irre Ingi ist nicht irre genug, um sich so eine aussichtslose Dummdreistigkeit zu leisten.
Aber dann war es eine seiner Vorsichtsmaßnahmen, nicht wahr? Eine Art Intermezzo, um sicherzugehen, dass wirklich niemand versucht, ihn bis zum Bau von Audólfur Hreinsson zu verfolgen. Aber wo ist er dann in diesem Moment?
Ist es vielleicht möglich, dass Audólfur außer zum Ferienhaus seines Großvaters noch Zugang zu einem anderen Häuschen in Thingvellir hat?
Die Familie könnte natürlich noch mehr Immobilien besitzen. Für die ihre Ehefrauen oder andere Angehörige als Besitzer eingetragen sind. Ich hätte das abchecken müssen.
Diese Zweifel bringen mich trotzdem nicht von meinem Glauben ab, dass der irre Ingi das Rauschgift letzten Endes bei Audólfur Hreinsson abgeben wird. Die Frage ist nur, wie lange er gedenkt, sich zu verstecken, bevor er zur letzten Etappe zum Haus des Drahtziehers aufbricht. Und wo.
Plötzlich wird mir eine neue Gefahr bewusst: Was, wenn Ingi Hermundurs Suchtrupps im Gelände bemerkt? Liegt es dann nicht auf der Hand, dass er versuchen würde, das Dope zu verstecken? Es vielleicht in der Erde zu vergraben? Oder es vielleicht sogar auf irgendeine Weise zu vernichten?
Dann würde Audólfur aus der Falle entkommen.
Das darf auf keinen Fall passieren.
»Ihr dürft euch nicht wie die berühmten Elefanten im Porzellanladen benehmen«, sage ich, als wir die steilen Abhänge der erloschenen Krater in den Dýrafjöll hoch- und runterfahren. »Dann lässt Ingi das Rauschgift einfach verschwinden, und ihr habt nichts in der Hand.«
»Meine Männer wissen, wie man umsichtig vorgeht«, antwortet Hermundur.
»Das einzig Sinnvolle ist momentan, abzuwarten und Ingi die Initiative ergreifen zu lassen«, fahre ich fort. »Dann erscheint er am Ende beim Ferienhaus, da bin ich ganz sicher.«
Er überlegt.
»Das ist der einzige Weg, auch die Hintermänner mit dem Rauschgift zu erwischen«, füge ich hinzu. »Das sollte doch immer noch das Hauptziel sein.«
Hermundur lässt sich schließlich überreden, pfeift seinen Suchtrupp zurück. Aber stellt gleichzeitig sicher, dass alle Wege, die aus dem Gebiet herausführen, zuverlässig bewacht
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