Der falsche Zeuge
diesem bescheuerten Quatsch. »Wenn du etwas von mir willst, lass hören. Ansonsten ist die Tür da vorne.«
»Das, was ihr meinen geringsten Brüdern tut, das habt ihr mir getan, sagt der Menschensohn, und genau deshalb bin ich hier, um dich in Jesu Namen zu bitten, einem unserer geringsten Brüder in der Stunde der Not beizustehen.«
»Komm zur Sache, Mann!«
»Jeder, der den Willen meines Vaters tut, ist mein Bruder, spricht der Herr, aber ich meine meinen leiblichen Bruder, der in Schwierigkeiten steckt. Er ist vom Weg der Wahrheit abgekommen und zum Werkzeug des Teufels geworden, aber er ist trotzdem mein Bruder.«
Alexander scheint gegen meine wütenden Blicke völlig immun zu sein. Er redet jedenfalls so lange um den heißen Brei herum, bis ich aufstehe, um ihn wieder auf die Straße zu setzen.
Dann aber kommt es: Sein jüngerer Bruder, Ófeigur, wurde wegen der Vorgänge im Althing vorgestern zu zwei Wochen Untersuchungshaft verurteilt.
»Er hat eine Mutter, die ihren verlorenen Sohn liebt«, sagt Alexander, »und sie will ihm in seinen Schwierigkeiten aufrichtig helfen. Und das will ich auch.«
Ich habe nur einen winzigen Bruchteil dessen gelesen, was gestern und heute in den Zeitungen über das »Attentat im Althing« geschrieben wurde, denn so wird der Aufruhr auf der Besuchertribüne auf ihren Seiten genannt. Aber ich habe genug gelesen, um zu wissen, dass die Aufrührer in der Presse als gewalttätige Nationalisten beschrieben werden. Jemand hat gesagt, dass sie Neonazis seien, die Hitler und Hess als die Wegweiser in ihrem Leben betrachteten.
»Du bittest mich wirklich darum, ein Nazischwein zu verteidigen, das ein Menschenleben auf dem Gewissen haben könnte?«, frage ich.
»Einen unserer geringsten Brüder«, antwortet er. »Ófeigur bekam nicht die Gnadengaben in die Wiege gelegt, die mir Gott in seinem großen Erbarmen geschenkt hat. Er ist das Opfer von den Abgesandten des Teufels, und die sind es auch, die die Verantwortung an der Raserei des Jungen im Parlament haben.«
»Du bist doch wohl nicht der Ansicht, dass er von einem bösen Geist besessen ist?«
»Das ist doch völlig eindeutig«, antwortet Alexander.
»So eine Verteidigung wird den Richter erfreuen.«
»Ich versuche nur, ihn in Gottes Namen zu retten«, fährt er fort, »Aber ich sehe, dass es dir nicht zusagt, Gottes Wort zu hören. Ich bitte dich deshalb nur darum, dass du dir Zeit nimmst, mit unserer lieben Mutter zu reden. Wenn es ihr nicht gelingt, dich zu überzeugen, barmherziger Samariter zu werden, dann werde ich dich nicht weiter belästigen, aber ich werde natürlich trotzdem für deine Seele beten.«
»Redet sie wie du?«
»Meine Mutter ist eine gläubige Frau, doch sie arbeitet nicht in meiner Gemeinde.«
»Bist du in einer bestimmten Gemeinde?«
»Ich bin ein demütiger Hirte des Herrn, der mich dazu berufen hat, die Frohe Botschaft unseres Erlösers zu verbreiten.«
»Natürlich kann ich deiner Mutter nicht verbieten, zu mir zu kommen«, antworte ich, »aber du sollst nicht damit rechnen, dass es irgendetwas ändert.«
Die nächsten Stunden konzentriere ich mich auf Finanzangelegenheiten. Schaue mir das Ergebnis der Autoversteigerung beim Sýslumadur an. Plane die Grundzüge meiner weiteren Strategien für die nächste Woche. Sowohl was die Schuldner angeht als auch für anderes.
Als Alexander mit seiner Mutter wiederkommt, schicke ich den zungenfertigen Missionar auf den Flur und schließe die Tür. Ich will mit ihr in Ruhe reden.
Herdís ist in jeder Art völlig anders als ihr erlöster Sohn. Eine unauffällige Arbeiterin, der man es ansieht, dass sie ihr ganzes Leben lang für ihren Unterhalt schwer hat schuften müssen. Das Haar ist grau. Das Gesicht müde. Die Hände zeugen von der getanen Arbeit.
Sie spricht auch ganz anders als Alexander. Zum Glück.
»Sie erlauben mir nicht, Ófeigur zu treffen«, sagt sie. »Ich mache mir so viele Sorgen um den jungen!«
»Nicht grundlos, wie mir scheint, wenn man die Nachrichten liest.«
»Ich kenne meinen Sohn gut, aber ich kenne den Mann nicht, der im Fernsehen und in den Zeitungen so fürchterlich dargestellt wird.«
»Aber die Aufnahmen aus dem Parlament sprechen doch ihre eigene Sprache, nicht wahr? Da sieht man doch ganz deutlich, wie dein Sohn die Journalistin, die gestorben ist, geschubst hat.«
»Mir scheint, dass es ein Unfall war«, antwortet sie. »Ich weiß, dass meine Jungen zu Übertreibungen in Glaubensdingen neigen, sie haben das von
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