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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Marlow, ein Mann mit dichtem glänzenden Haar, war der Leiter der Patrol Services Division des NYPD. Seine besonnene Art verdankte er den zwanzig Jahren Streifendienst zu Beginn seiner Laufbahn. Danach hatte er zusätzliche fünfzehn Jahre mit dem weitaus riskanteren Job verbracht, den einstigen Kollegen vorzustehen.
    Nun, am Montagmorgen, nahm Amelia Sachs mehr oder weniger vor ihm Haltung an und zwang sich, den stechenden Schmerz ihrer arthritischen Kniegelenke zu ignorieren. Sie befanden sich in Marlows Eckbüro hoch oben im Big Building, Police Plaza Nummer eins, Downtown.
    Marlow schaute von der Akte auf, in der er gelesen hatte, und musterte Amelias tadellos gebügelte blaue Uniform. »Oh, Verzeihung, Officer. Bitte nehmen Sie doch Platz… Setzen Sie sich… So, Sie sind also Herman Sachs’ Tochter.«
    Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder und registrierte die kurze Pause zwischen seinen letzten beiden Worten. Hatte er im ersten Moment »Mädchen« sagen wollen?
    »Das ist richtig.«
    »Ich war bei der Beerdigung.«
    »Ich erinnere mich.«
    »Es war eine gute Trauerfeier.«
    Sofern man dabei von »gut« reden konnte.
    Er richtete sich kerzengerade auf und sah ihr tief in die Augen. »Okay, Officer. Kommen wir zur Sache. Sie stecken in Schwierigkeiten.«
    Es traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. »Wie bitte?«
    »Der Tatort letzten Samstag, am Harlem River. Ein Wagen ist ins Wasser gestürzt. Sie haben die Spuren gesichert?«
    Der Mazda des Hexers hatte die Hütte von Carlos dem Crackjunkie zerlegt und war baden gegangen.
    »Ja, das ist korrekt.«
    »Sie haben dort jemanden unter Arrest gestellt«, sagte Marlow.
    »Ach, das. Nein, es war nicht wirklich ein Arrest. Der Kerl hat die Absperrung missachtet und mitten im Tatort herumgewühlt. Ich ließ ihn abführen und eine Weile festhalten.«
    »Ob nun verhaftet oder festgehalten – er war eine Zeit lang in Gewahrsam.«
    »Na klar. Ich musste ihn mir vom Leib halten. Es war ein noch ungesicherter Schauplatz.«
    Sachs begriff langsam, worum es ging. Der Querulant hatte sich beschwert. Das kam jeden Tag vor. Niemand kümmerte sich um solchen Mist. Ihr wurde leichter ums Herz.
    »Tja, dieser Mann war Victor Ramos.«
    »Ja, ich glaube, er hat seinen Namen erwähnt.«
    »
Kongressabgeordneter
Victor Ramos.«
    Die Erleichterung schwand.
    Der Captain schlug ein Exemplar der New Yorker
Daily News
auf. »Mal sehen, mal sehen. Ah, hier.« Er hob den Mittelteil der Zeitung an. Ein großes Foto zeigte den Mann am Tatort in Handschellen. Die Schlagzeile lautete: Verkehrserziehung für Victor.
    »Haben Sie die Kollegen angewiesen, ihn
aus dem Verkehr
zu ziehen?«
    »Er hat…«
    »Haben Sie?«
    »Ja, Sir, ich glaube, so war es.«
    »Er behauptet, er habe nach Überlebenden gesucht.«
    »Überlebende?«, rief sie und lachte auf. »Es war eine drei mal drei Meter große illegale Baracke, die gestreift wurde, als der Wagen des Täters in den Fluss gerast ist. Eine Wand ist halb umgekippt, und…«
    »Sie werden recht laut, Officer.«
    »…und eine Tüte mit Leergut wurde aufgerissen, soweit ich weiß. Das war der gesamte Schaden. Die Sanitäter haben in der Hütte nachgesehen, und ich hab sie dann abgesperrt. Außer Läusen gab es dort kein Lebewesen mehr, das er hätte retten können.«
    »Aha«, sagte Marlow ruhig. Ihr Gefühlsausbruch gefiel ihm nicht. »Er sagt, er habe sich lediglich vergewissern wollen, dass alle Bewohner sich in Sicherheit befanden.«
    »Die
Eigentümer
haben ihr
Haus
aus eigener Kraft verlassen«, fügte sie voller Ironie hinzu. »Niemand wurde verletzt. Obwohl meines Wissens einer von ihnen später einen Bluterguss an der Wange davongetragen hat, als er sich der Verhaftung widersetzte.«
    »Verhaftung?«
    »Erst hat er versucht, einem Feuerwehrmann die Taschenlampe zu klauen, und dann hat er ihn angepinkelt.«
    »O Mann…«
    »Sie waren unversehrt, sie waren stoned, und sie waren Arschlöcher«, murmelte sie. »Und um diese
Bürger
hat Ramos sich Sorgen gemacht?«
    Die Miene des Captains, die bisher sowohl vorsichtig zurückhaltend als auch mitfühlend gewirkt hatte, verwandelte sich in das glatte Antlitz eines Bürokraten. »Wissen Sie mit Sicherheit, dass Ramos Spuren zerstört hat, die für die Ergreifung des Verdächtigen wichtig gewesen wären?«
    »Das ist doch völlig einerlei, Sir. Die Verfahrensweise an sich ist von Bedeutung.« Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und weniger aggressiv zu klingen. Marlow war immerhin der Chef des Chefs ihres

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