Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Chefs.
»Ich versuche, etwas mehr Klarheit zu gewinnen, Officer Sachs«, sagte er streng. »Wissen Sie
mit Sicherheit
, dass Spuren zerstört wurden?«, wiederholte er dann.
Sie seufzte. »Nein.«
»Demnach war seine Anwesenheit am Tatort unerheblich.«
»Ich…«
»Unerheblich?«
»Ja, Sir.« Sie räusperte sich. »Wir haben einen Polizistenmörder verfolgt, Captain. Spielt das denn keine Rolle?«, fragte sie verbittert.
»Für mich schon und für viele andere Leute auch. Für Ramos nicht.«
Sie nickte. »Okay, wie groß ist die Sache?«
»Es waren Fernsehteams hier, Officer. Haben Sie an dem Abend die Nachrichten gesehen?«
Nein, dachte sie. Ich hatte genug damit zu tun, einen Mörder zu jagen. Doch sie entschied sich für eine andere Antwort: »Nein, Sir.«
»Nun, man konnte dort ausführlich mit ansehen, wie Ramos in Handschellen abgeführt wurde.«
»Sie wissen doch, dass er überhaupt nur dort aufgetaucht ist, um sich dabei filmen zu lassen, wie er für die Rettung der Opfer das eigene Leben riskiert… Ich bin neugierig, Sir: Steht Ramos demnächst zur Wiederwahl an?«
Sogar die bloße
Bestätigung
eines solchen Kommentars konnte den Job und zusätzlich die Pensionsansprüche kosten. Marlow erwiderte nichts.
»Wie lautet…?«
»Das Ergebnis?« Marlows Mund wurde zu einem schmalen Strich. »Es tut mir Leid, Officer. Sie haben sich selbst ein Bein gestellt. Ramos hat Erkundigungen über Sie eingezogen und von der Sergeant-Prüfung erfahren. Dann hat er seine Beziehungen spielen lassen und dafür gesorgt, dass Sie durchfallen.«
»Er hat
was
?«
»Sie sind durchgefallen. Er hat mit den Prüfern gesprochen.«
»Ich hatte die dritthöchste Punktzahl in der Geschichte des Departments«, sagte sie und lachte humorlos auf. »Oder stimmt das etwa nicht?«
»Doch – bei der schriftlichen und mündlichen Prüfung. Aber Sie müssen auch die praktische Übung bestehen.«
»Ich habe sie sogar gut bestanden.«
»So mag es zunächst ausgesehen haben. Aber der Abschlussbericht fällt negativ aus.«
»Unmöglich. Was ist passiert?«
»Einer der Prüfer hat sein Veto eingelegt.«
»Sein Veto? Aber ich…« Amelias Stimme erstarb, denn sie sah vor ihrem inneren Auge auf einmal den stattlichen Beamten mit der Schrotflinte hinter dem Müllcontainer hervortreten. Den Mann, den sie wenig später vor den Kopf gestoßen hatte.
Peng, peng…
Der Captain las von einem Blatt ab. »Er sagt, Sie hätten – ich zitiere –›nicht den angemessenen Respekt für Personen in übergeordneter Stellung erkennen lassen. Außerdem hat sie sich Gleichgestellten gegenüber nachlässig verhalten und diese dadurch Situationen individueller Gefährdung ausgesetzt.‹«
»Ramos hat also jemanden aufgetrieben, der gewillt ist, mich abzusägen, und ihm dann diese Zeilen in den Stift diktiert. Tut mir Leid, Captain, aber glauben Sie allen Ernstes, dass irgendein Streifenpolizist so redet? ›Situationen individueller Gefährdung‹? Ich bitte Sie.«
Tja, Paps, wandte sie sich stumm an ihren Vater. Was sollen wir davon halten? Sie fühlte sich furchtbar.
Dann nahm sie Marlow genauer in Augenschein. »Was noch, Sir? Da
ist
noch etwas, oder?«
Er hielt ihrem Blick stand und stieg dadurch in ihrer Achtung. »Ja, Officer, Sie haben Recht. Es kommt noch schlimmer, fürchte ich.«
Wie
viel
schlimmer kann es denn noch kommen, Paps?
»Ramos versucht, Ihre Suspendierung zu erreichen.«
»Suspendierung. Das ist doch Blödsinn.«
»Er will eine Untersuchung.«
»Dieser rachsüchtige…« Das Wort »Wichser« verkniff sie sich, denn Marlows Blick erinnerte sie daran, dass ihre aufbrausende Art sie überhaupt erst in diese Schwierigkeiten gebracht hatte.
»Ich möchte Ihnen nicht verschweigen, dass er wütend genug ist, um…« Er zögerte. »Nun, er will bewirken, dass Sie ohne Bezüge vom Dienst suspendiert werden.« Diese Art der Bestrafung kam normalerweise nur dann zur Anwendung, wenn ein Beamter einer Straftat beschuldigt wurde.
»Warum?«
Marlow antwortete nicht, aber das war auch gar nicht nötig. Sachs wusste, dass Ramos die eigene Glaubwürdigkeit untermauern wollte, also musste die Frau, die ihn dermaßen in Verlegenheit gebracht hatte, als unberechenbar dargestellt werden.
Und außerdem war er ein rachsüchtiger Wichser.
»Wie lauten die Vorwürfe?«
»Insubordination und Inkompetenz.«
»Ich darf meine Dienstmarke nicht verlieren, Sir.« Hoffentlich klang sie nicht zu verzweifelt.
»Wegen der verpatzten Prüfung
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