Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Erde und Treibgut die Einfahrt versandet und hatte diesen stinkenden Pfuhl von etwa drei Metern Durchmesser geschaffen. Auf einer Seite stand ein verrotteter Steg mit einem rostigen Kran, der einst dazu benutzt worden war, Boote aus dem Wasser zu hieven. Malerick warf nun ein Seil über den Ausleger, fing das Ende ein und knotete es an Cheryls Fußkette fest.
Entfesselungskünstler liebten Ketten. Sie sahen beeindruckend aus, verströmten ein wunderbar sadistisches Flair und wirkten nachhaltiger als Seidentücher oder Seile. Außerdem waren sie schwer – also genau das Richtige, um einen gefesselten Probanden unter Wasser zu halten.
»Nein, nein, neiiin«, flüsterte die halb bewusstlose Frau.
Er strich ihr über das Haar und musterte die Ketten. Schlicht und stabil. Houdini hatte geschrieben: »Es mag seltsam erscheinen, aber je Aufsehen erregender die Fesselung dem Publikum vorkommt, desto weniger kompliziert läuft die Befreiung letztlich ab.«
Malerick wusste aus Erfahrung, dass dies stimmte. Dramatisch wirkende dicke Taue und massive Ketten, die unzählige Male um den Körper des Illusionisten geschlungen wurden, ließen sich leicht abstreifen. Schmucklose Fesseln und gewöhnliche Schlösser waren viel schwieriger zu bewältigen. Wie diese hier zum Beispiel.
»Neiiin«, stöhnte sie mühsam. »Das tut weh. Bitte!… Was machen Sie…?«
Malerick verschloss ihr den Mund mit einem Streifen Isolierband. Dann atmete er tief durch, packte mit festem Griff das Seilende und zog es zu sich herunter. Die Füße der wimmernden Anwältin wurden angehoben, und sie rutschte langsam auf das brackige Wasser zu.
Auf dem großen zentralen Platz des West Side College, gelegen zwischen Neunundsiebzigster und Achtzigster Straße, fand an diesem herrlichen Frühlingsnachmittag ein gut besuchter Kunstgewerbemarkt statt. Der Andrang dort war dermaßen groß, dass man den Mörder und sein Opfer unmöglich würde entdecken können.
In den Restaurants und Cafés der Gegend saßen Scharen von Leuten und eventuell auch der Hexer und Cheryl Marston. In genau diesem Moment schlug er ihr vielleicht vor, mit dem Wagen einen kleinen Ausflug zu unternehmen oder kurz bei ihr zu Hause vorbeizuschauen.
Und zwischen den zahlreichen Häuserblocks verliefen mindestens fünfzig dunkle Seitengassen, die sich perfekt für einen Mord eigneten.
Sachs, Bell und Kara liefen die Straßen entlang und suchten den Markt, die Restaurants und die Gassen ab.
Sie sahen in jeden Winkel, der ihnen einfiel, aber sie fanden nichts.
Dann, nach einer endlos scheinenden Weile, stießen sie auf eine Spur.
Die beiden Cops und Kara betraten Ely’s Coffee Shop in der Nähe des Riverside Drive und ließen ihre Blicke über die Menge schweifen. Sachs packte Bell am Arm und deutete zur Kasse. Dort auf dem Tresen lagen ein schwarzer Reithelm und eine fleckige Lederpeitsche.
Sachs lief zum Geschäftsführer, einem dunkelhäutigen Araber. »Hat eine Frau diese Sachen hier vergessen?«
»Ja, vor zehn Minuten. Sie…«
»War ein Mann bei ihr?«
»Ja.«
»Bart und Jogginganzug?«
»Genau. Sie hat den Helm und die Reitgerte unter dem Tisch liegen gelassen.«
»Wissen Sie, wohin die beiden gegangen sind?«, fragte Bell.
»Was ist denn los? Gibt es…«
»Wohin?«, drängte Sachs.
»Schon gut, ich habe zufällig gehört, wie er sagte, er wolle ihr sein Boot zeigen. Aber ich hoffe, er hat sie nach Hause gebracht.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Sachs.
»Die Frau war krank. Ich schätze, deshalb hat sie auch ihre Sachen vergessen.«
»Krank?«
»Sie konnte nicht mehr gerade gehen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Als wäre sie betrunken, aber die beiden hatten bloß Kaffee. Und als sie hereinkam, war noch alles in Ordnung.«
»Er hat sie unter Drogen gesetzt«, flüsterte Sachs ihrem Kollegen zu.
»Drogen?«, fragte der Geschäftsführer. »He, was läuft denn hier ab?«
»Wo haben die beiden gesessen?«, fragte Sachs.
Er deutete auf einen Tisch, an dem nun vier Frauen lautstark plauderten und aßen. »Verzeihung«, entschuldigte Sachs sich bei ihnen und nahm den Bereich schnell in Augenschein. Auf den ersten Blick war weder auf noch unter dem Tisch etwas Ungewöhnliches zu entdecken.
»Wir müssen weitersuchen«, sagte sie zu Bell.
»Er hat was von einem Boot erzählt, also lassen Sie uns nach Westen gehen. Zum Hudson.«
Sachs deutete auf den Tisch, an dem der Hexer und Cheryl gesessen hatten. »Das dort ist ein Tatort – wischen Sie nichts ab. Und
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