Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Kalksteinwand eines der Unterrichtsgebäude.
Vor ihm auf dem großen Platz fand eine Art Kunstmarkt mit unzähligen Besuchern statt. Er schaute zurück nach Westen, in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Polizei hatte dort bereits alles abgeriegelt. Der Norden und Süden des Platzes wurden von hohen Betonbauten eingenommen. Die Fenster waren verriegelt, und es gab keine Türen. Der einzige Ausgang lag im Osten, auf der anderen Seite des fußballplatzgroßen Geländes voller Verkaufsstände und dichter Menschenmengen.
Er machte sich auf den Weg, aber er beeilte sich nicht.
Als Illusionist wusste er, dass hastige Bewegungen Aufmerksamkeit erregten.
Wer langsam war, wurde unsichtbar.
Er besichtigte die angebotenen Waren, nickte beifällig einem Straßenmusikanten zu, lachte über einen Clown, der Ballons verkaufte. Er tat, was alle anderen taten.
Denn Abweichungen erregten Aufmerksamkeit.
Wer sich wie die anderen verhielt, wurde unsichtbar.
Und so kam er weiter nach Osten.
Unterdessen fragte er sich, wie die Polizei ihn wohl ausfindig gemacht hatte. Natürlich wäre die Leiche der ertrunkenen Anwältin irgendwann im Laufe des Tages gefunden worden. Aber sie waren zu schnell gewesen – beinahe als hätten sie
vorhergesehen
, dass er jemanden in diesem Teil der Stadt entführen würde, womöglich sogar direkt aus der Reitschule. Wie konnte das sein?
Weiter nach Osten.
Vorbei an den Ständen, vorbei an der Marktleitung, vorbei an einer Dixieland-Kapelle auf einer rot-weiß-blau drapierten Bühne. Vor ihm lag der Ausgang – die östliche Treppe, die vom Platz hinunter zum Broadway führte. Nur noch fünfzehn Meter bis zur Freiheit, nur noch zwölf.
Zehn…
Aber dann sah er die Signallichter. Sie kamen ihm fast so hell vor wie der Blitz der Schießbaumwolle, den er für die Flucht vor der rothaarigen Beamtin genutzt hatte. Insgesamt vier Streifenwagen hielten mit quietschenden Reifen am Fuß der Treppe. Ein halbes Dutzend Uniformierter sprang heraus und bezog dort unten Position. Nahezu gleichzeitig trafen Beamte in Zivil ein, liefen die Stufen empor, mischten sich unter die Menge und nahmen die Männer auf dem Platz in Augenschein.
Malerick war umzingelt. Er machte kehrt und hielt auf die Mitte des Marktes zu.
Die Beamten in Zivil bewegten sich langsam nach Westen und konzentrierten sich bei ihrer Suche auf bartlose Männer mittleren Alters, die helle Hemden und gelbbraune Hosen trugen. Genau wie er.
Doch außerdem hielten sie Männer mit Bärten und anderer Garderobe an. Was bedeutete, dass sie von seinen Verwandlungstricks wussten.
Dann sah er, was er befürchtet hatte. Am oberen Ende der Westtreppe tauchte die Polizistin mit dem stählernen Blick und dem feuerroten Haar auf, die ihn schon beim Tümpel verhaften wollte. Sie mischte sich unter die Leute.
Malerick drehte sich zur Seite, senkte den Kopf und betrachtete eine ziemlich hässliche Keramikskulptur.
Was tun?, überlegte er verzweifelt. Unter seiner gegenwärtigen Kleidung trug er noch genau ein Kostüm. Es war seine letzte Reserve.
Die rothaarige Beamtin erspähte jemanden, der in Statur und Aussehen Malerick ähnelte, und musterte ihn prüfend. Dann wandte sie sich ab und ließ den Blick wieder über die Menge schweifen.
Nun kam auch der athletische braunhaarige Cop, der Cheryl Marston wiederbelebt hatte, die Stufen hinauf und gesellte sich zu seiner Kollegin. Sie besprachen sich kurz. Bei ihm war noch eine andere Frau – und sie sah nicht nach einer Polizistin aus. Sie war recht zierlich, hatte leuchtend blaue Augen und kurzes rötlich lilafarbenes Haar. Nach einem schnellen Rundblick flüsterte sie der Beamtin etwas zu. Die Rothaarige machte sich daraufhin allein auf den Weg, während die Kleine bei dem Mann blieb und sich mit ihm in einer anderen Richtung durch die Menge vorarbeitete.
Malerick wusste, dass man ihn früher oder später entdecken würde. Es musste ihm gelingen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, bevor noch mehr Cops eintrafen. Er ging zu den Toiletten, betrat eines der transportablen Kunststoffhäuschen und änderte sein Erscheinungsbild. Dreißig Sekunden später kam er wieder zum Vorschein und hielt einer älteren Dame höflich die Tür der Kabine auf. Die Frau zögerte und wandte sich dann ab. Offenbar war es ihr unangenehm, ein WC zu benutzen, auf dem sich unmittelbar vor ihr ein bezopfter Biker erleichtert hatte, der eine dreckige schwarze Jeans, eine Baseballmütze der Firma Pennzoil und über
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