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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Lammfellpantoffeln von Valjas Mutter an (deren Leibesfülle ihm jetzt nur recht sein konnte).
    Licht anzuschalten, wagte er nicht, um die Bewohner der Siedlung nicht auf sich aufmerksam zu machen. Auch den Fernseher rührte er nicht an und sah keine Nachrichten. Er ernährte sich von Wurst und sah sich vor Langeweile in der nächsten Umgebung um: an drei Seiten standen Häuser, die ungefähr genauso wie seins aussahen; an der vierten Seite war ein drei Meter hoher Lattenzaun, der mit Stacheldraht gespickt war. Nicht schlecht, wie die reichen Leute in Russland leben, da kann man eigentlich nicht meckern.
    Am Ende des zweiten Tages seiner Festungshaft tauchte Valja auf. Sie war mit dem Motorrad hergebraust und mit Dreck bespritzt. Noch nicht ganz angekommen, schrie sie schon:
    »Ich kann nicht mehr! Ich halte das nicht mehr aus!«
    Und riss sich die Männerkleidung vom Leib.
    Jetzt trug sie ein poppiges Neglige und brutzelte ihnen am Herd sein warmes Abendessen. Nicholas saß am Küchentisch und genoss Valjas Geschnatter. Wie wohl ihm das tat! Er lebte noch, war nicht allein, die Heizung würde bald warm werden, und wenn es dunkel würde, könnten sie das Licht anmachen.
    Das Einzige, was ihn störte, war die Tatsache, dass Valja sich sehr schnell und zielstrebig daran machte, die Situation auszunutzen.
    Erstens ging sie sofort zum Du über. Das war ein allgemeiner Trend in der Umgebung, mit der Nicholas es im Moment zu tun hatte: Keiner machte seinetwegen irgendwelche Umstände, was zweifellos auf seinen sozialen Abstieg deutete. Von einem soliden Mann, der eine Firma besaß, hatte er sich in ein unsichtbares Wesen, ja in einen Schatten verwandelt. Einen Schatten siezt man nicht. Wie hieß es doch so richtig: »Schatten, bleib, wo du bist.«
    Zweitens schlachtete Valja die Rolle des Verbindungsmannes zwischen dem Gefangenen im Cottage-Ghetto und der Außenwelt reichlich ungeniert aus. Auf die Frage, ob sie Verbindung mit Altyn habe aufnehmen können, antwortete das hinterlistige Wesen mit Unschuldsmiene:
    »Ich habe ihr eine Nachricht in den Briefkasten geworfen. Anrufen konnte ich nicht. Deine Unterschrift kann ich nachmachen, den Text habe ich auf dem Computer getippt. Er lautet ungefähr so: Verzeih, Liebste, dass ich ein bisschen Abstand vom family life brauche, ich möchte ein Weilchen tout seul sein.«
    Als Nicki aufstöhnte, bemerkte Valja gönnerhaft:
    »Sie wird dich nur mehr zu schätzen wissen deshalb. Das kannst du mir als Frau glauben.«
    Vielleicht war das so ja wirklich besser. Sie sollte lieber beleidigt sein, als dass sie die Nerven verlöre. Sie würde morgen früh aus Petersburg zurückkommen, den Briefkasten aufmachen . . . Und was würde sie dann denken? Dass ich mir eine andere Frau angelacht habe?
    »Hör mal«, sagte er laut. »Du musst da noch mal hin. Deinen Brief nimmst du raus und legst dafür meinen hin. Ich schreibe ihn jetzt.«
    Und er machte sich an die Arbeit.
    Meine liebe Altynka, ich bin für ein paar Tage weggefahren. Eine dringende Angelegenheit, ich habe sogar Lidija Petrowna nicht vorher Bescheid sagen können. Du kannst mir gratulieren: Ich habe endlich einen seriösen Kunden gefunden, deine Anzeige hat Erfolg gehabt. Allerdings wohnt er ein bisschen weit, im Gebiet von Archangelsk. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber es hat nicht geklappt. Ich fürchte, ich kann von da auch nicht telefonieren. Das ist hinterste Provinz, die werden wohl kaum ein Roaming zustande kriegen. Wenn ich zurückkomme, erzähle ich dir alles. Es ist eine tolle Geschichte.
    Dein Baronet
    Er hatte den richtigen Ton gefunden: witzig und ein bisschen abenteuerlich. Das müsste seine Wirkung tun.
    Valja hätte die Notiz durchaus in die Tasche des Morgenmantels legen können. Doch sie zog es vor, langsam den Saum zu lüpfen und das zusammengefaltete Quadrat hinter das Gummi ihres Spitzenhöschens zu stecken. Nicki wandte sich ab und seufzte leidend.
    »Ich weiß nicht, vor wem ich mehr Angst haben soll, vor den Mafiosi oder vor meiner Frau Mammon«, plapperte sie hinterlistig weiter und legte Nicki eine große Portion Omelette mit Trüffeln auf den Teller. »Wenn sie Wind davon kriegt, in was für eine Geschichte ich da gerasselt bin, dann macht sie kurzen Prozess. Die lässt mich glatt unter Bewachung auf die Tuamotu-Inseln bringen, da kennt sie nichts. Und diese Typen, also die . . . Iss nur ruhig weiter, iss. Willst du Butter aufs Brot?«
    Sie legte die Wange an ihre Hand und setzte sich ihm wie eine

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