Der Favorit der Zarin
arbeitend, zu den Büschen am Straßenrand. Dort angekommen, sprang er auf und raste orientierungslos in die Dunkelheit.
»Wir brauchen ihn lebend!«, schrie ihm jemand nach.
Die Stimme war hoch und dünn und klang jugendlich.
Nicholas stieß mit dem Schienbein gegen irgendeine Kiste, spürte aber noch nicht einmal einen Schmerz.
Seinen Kopf durchfuhr der Gedanke: Gut, dass ich eine schwarze Jacke anhabe, im weißen Hemd wäre ich von weitem zu sehen.
Er hörte hinter sich Getrappel. Es war unklar, um wie viele Verfolger es sich handelte, aber mehr als einer oder zwei waren es bestimmt. Ein Motor heulte auf, dann ein zweiter.
Seine langen Beine in den weichen Pantoffeln berührten geräuschlos den Boden. Nicki zwängte sich in eine Lücke zwischen den Güterschuppen, nahm Anlauf, sprang auf einen Zaun, zog sich hoch (woher hatte er nur die Kraft?) und landete auf dem Boden der anderen Seite.
Schienen, an der Seite sah man die Lichter des Bahnhofs.
Polternd rollte ein Güterzug über ein Ferngleis.
Fandorin lief hin und rannte ein Weilchen in riesigen Sprüngen neben ihm her, passte dann den Augenblick ab und klammerte sich an einer Stange der Bremsplattform des letzten Waggons fest und hing in der Luft. Er zog die Beine ein, damit sie nicht auf dem Boden schleiften. Erst konnte er ein Knie auf die Stufe stellen, dann das zweite. Er sah sich um.
Hinten auf den Gleisen huschten irgendwelche Schatten hin und her, die Lichtkegel von Taschenlampen irrten hierhin und dahin.
Ob sie ihn gesehen hatten?
Aber es galt in jedem Fall: Je weiter er sich von Lepeschkino entfernte, desto besser.
Nicholas rieb sich das geprellte Schienbein und setzte sich auf den Metallboden. Es war ihm egal, dass er staubig und dreckig war und ihn Ölflecken oder eine andere stinkende Flüssigkeit bedeckten.
Er wollte sich auf den Rücken legen und zu Atem kommen.
Er versuchte, sich auf der engen Plattform möglichst bequem auszustrecken, da stieß sein Kopf auf einmal auf etwas Weiches. Genauer, auf einen Menschen.
Er unterdrückte einen Schrei und drehte sich um.
Zusammengekauert saß auf der anderen Seite der Plattform ein in Lumpen gehüllter Mann. Eine Laterne ließ für einen Moment die glänzenden Augen, einen buschigen Bart und eine abgewetzte Kaninchenmütze im Dunkel aufscheinen.
»Sie sind aber ganz schön wagemutig«, sagte der Mann. »Und wie Sie springen können, ich bin ganz begeistert. Haben Sie etwa meinetwegen Ihr Leben so aufs Spiel gesetzt? Um mich aufs Revier zu bringen?«
»Wer sind Sie ? «, fragte Fandorin, der befürchtete, durch die ganzen Erschütterungen habe er nun schon Halluzinationen.
»Mischa, der Reisende. Ich lebe zwischen Himmel und Erde. Ich wollte zu meinem Winterlager im Gouvernement Nowgorod. Natürlich nur, wenn Sie mich nicht aus dem Zug schmeißen.«
Nicholas hatte sich ein bisschen an die wackelige Eisenbahnbeleuchtung gewöhnt, von der alle Gegenstände mal angestrahlt, mal in den Schatten gedrängt wurden, und konnte seinen überraschenden Weggenossen nun besser erkennen.
Undefinierbares Alter, eine abgerissene Jacke aus Kunststoff, über den Schultern eine Tischdecke oder ein Vorhang. Kurz: ein Penner.
»Ich bin kein Milizionär«, beruhigte der Magister den Obdachlosen. »Die Jacke gehört nicht mir. Ich habe sie mir geliehen, um mich zu wärmen.«
»Ach so«, sagte Mischa fröhlich. »Das ist etwas anderes. Wir können uns nachher aufwärmen gehen. Da muss man in den sechsten Wagen, da haben sie Watte geladen. Wir schnappen ein bisschen frische Luft, damit wir besser schlafen können, und dann nichts wie dahin. Wohin wollen Sie, Sir?«
Woher weiß er denn, dass ich Sir bin?, fragte sich Fandorin ängstlich zusammenzuckend und beantwortete die Frage nicht. Doch der Penner war überhaupt nicht beleidigt.
»Ich fahre zu meinem Winterlager. Ich habe zwei Tage auf diesen Zug gewartet. Er geht von Rshew nach Petersburg, der Schlafwagen mit der Watte aber wird direkt in die Stadt Buchalow geleitet. Da haben sie einen tollen Knast. Da wird dir das Essen nicht geklaut, und der Leiter, Major Sawtschenko, ist in Ordnung. Ich überwintere immer da. Wollen Sie auch da untergebracht werden, Sir?«
Aha, das mit dem Sir ist nur seine Art, die Leute anzureden, stellte Nicholas beruhigt fest und fragte:
»Und wo ist Buchalow?«
»Im Gouvernement Nowgorod, Kreis Tschudowo. Ein tolles, ruhiges Städtchen. Da erholt man sich richtig. Das Gefängnis hat eine gute Bibliothek, Schachspiele und
Weitere Kostenlose Bücher