Der Favorit der Zarin
wir es hören und sehen, wenn sie kommen.«
»Aber woher nehmt Ihr die Sicherheit, dass sie Pawlina Anikitischna in diese Richtung bringen wollen?«
»Du hast doch selbst gesagt, dass sie euch eingeholt haben. Ergo: Sie bringen sie dahin, woher sie gekommen sind, nach Petersburg. Wenn die von dir nicht beim Namen genannte einflussreiche Person sich nicht gescheut hat, eine Dame aus dem Geschlecht der Chawronskis zu entführen und einen ihrer Diener zu töten, dann wohnt sie sicher in der Hauptstadt. Ich gehe davon aus, mein verschlossener Freund, dass sich in ganz Russland nur ein Lüstling findet, der ein solches Verbrechen wagt, ohne Angst zu haben.«
Mitja wurde rot. Der Alte durchschaute also alles. Und wenn er nicht davor zurückschrak, dem Favoriten entgegenzutreten, dann musste er sehr kühn sein. Nur was sollte der alte, unbewaffnete Mann schon gegen den Recken Pikin und seine vier Mordgesellen ausrichten können?
Diese entscheidende Frage stellte Mitja denn auch, wobei er sich Mühe gab, dies in einer möglichst wenig beleidigenden Form zu tun.
»Mein prächtiger Dmitri, ein gutes Wort und die Wissenschaft siegen immer über rohe Kraft«, antwortete Vondorin gelassen und stützte sich auf seinen Stock. »Du zweifelst daran, wie ich sehe. Hier der Beweis: Was erhebt den Menschen über die anderen Lebewesen, die zum Teil sehr viel stärker als er sind, wenn nicht der Glaube an Gott, das heißt das gute Wort und die Wissenschaft?«
»Da sind sie! Sie kommen!«, rief Mitja und deutete mit zitterndem Finger auf den Weg.
Im Sattel schaukelnd führte nicht Pikin, sondern jemand anderes den Zug an, es war wohl einer der Heiducken. Ein Zweiter saß auf dem Bock, und weitere zwei ritten hinterher.
»Pikin sitzt bestimmt in der Kutsche«, flüsterte Mitja.
»Das glaube ich nicht«, antwortete Vondorin unaufgeregt. »Es gibt nur ein Pferd, das hinten angebunden ist, und das gehört dem Kutscher. Der Anführer ist nicht dabei. Wahrscheinlich ist er zu seinem Herrn gefahren, um mit dem Sieg zu prahlen.«
So war es wohl auch. Das reiterlose Pferd war ein Apfelschimmel und nicht der riesige Rappe, auf dem Pikin gesessen hatte. Nur, was änderte das schon? Dann waren es eben nicht fünf, sondern nur vier Feinde. Auch das war für den Arzt entschieden zu viel.
»Mein prächtiger Freund, bleib du hier stehen«, sagte Daniel. »Ich gehe mich mit diesen Leuten unterhalten und versuche, an ihren Verstand zu appellieren.«
Erst jetzt, als er den geraden Rücken dieses auf den Weg getretenen Eigenbrötlers sah, wurde Mitja auf einmal klar, dass alles verloren war. Sie hatten zu viel Zeit vertan, sie würden Pawlina nicht retten können. Und schuld daran war nur er, Mithridates Karpow. Statt sich die Geschichten Vondorins anzuhören und sich die ganze Nacht am Ofen zu wärmen, hätte er Hilfe holen müssen. Oh, verfluchter Unverstand und Leichtsinn! Wie hatte er sich einem Philosophen anvertrauen können, der in einer idealen abstrakten Welt lebte?
Wie das klang: »An den Verstand appellieren«!
Vondorin arbeitete sich aus einer Schneewehe auf den Weg und stampfte auf, um den Schnee von den Filzstiefeln zu schütteln. Er trat mitten auf den Weg und stützte sich auf seinen Stock.
Mit den Kufen im Schnee knirschend, näherte sich die Kutsche. Der erste Reiter schrie:
»He, Alter, was willst du?«
Die Pferde verlangsamten ihren Lauf und blieben stehen, noch bevor der Kutscher die Zügel anzog; sie witterten offenbar in der reglosen Gestalt etwas Besonderes.
Daniel hob den rechten Arm und sprach klangvoll und laut -Mitja verstand in seinem Versteck jedes einzelne Wort.
»Ihr Diener des Favoriten! Ich weiß, dass ihr nicht aus freien Stücken, sondern gezwungen von eurem Vorgesetzten und Herrn zu Verbrechern geworden seid. Lasst die Gefangene frei; ich verspreche euch, es wird euch nichts geschehen.«
Der vordere Reiter richtete sich in den Steigbügeln auf und sah um sich. Auch der Kutscher auf dem Bock stand auf. Die beiden hinteren Reiter rückten näher.
»Wie viele seid ihr?«, fragte der Vordere und legte die Hand an den Griff des Säbels. Offenbar war er der Anführer, wenn Pikin nicht da war.
»Ich bin alleine.«
Der Anführer spuckte aus und prustete erleichtert.
»Aus dem Weg, du alter Tropf! Los! Sonst setzt es was mit der Peitsche!«
Er näherte sich mit dem Pferd Daniel. Die breite, reifbedeckte Pferdebrust drängte Vondorin an den Wegrand.
»Warte, Ochrim!«, schrie der Kutscher. »Woher weiß er
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