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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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andere Sachen. Wir werden straffällig, indem wir schnell etwas auf dem Bahnhof klauen, und laufen dann sofort zu Stepan Filimonytsch, um uns zu stellen . . .«
    Mischa holte weit aus und beschrieb genüsslich, wie sie es sich in dem Städtchen Buchalow gemütlich machen würden, aber Nicholas hörte nicht mehr zu, weil ihn die Erwähnung des Kreises Tschudowo aufgewühlt hatte.
    Das war wirklich ein Fingerzeig des Schicksals! Ein Wink des Himmels, anders konnte man das nicht nennen!
    Wie hatte er den Menschen vergessen können, der ihm früher einmal aus einer schwierigen Situation geholfen hatte und der ihm sicher auch jetzt seine Hilfe nicht verweigern würde?
    An ebendiesem Ort, in den Wäldern von Tschudowo, hatte sich der Kompagnon von Fandorin und Mitbegründer der Firma »Land der Räte« niedergelassen, ein ehemaliger Bankier, Oligarch und Medienmagnat. Der Kapitalist war durchgedreht; er hatte sich in den Kämpfen um den Mehrwert überanstrengt, seine Geschäfte aufgegeben und sich vor der eitlen Welt in eine Klause zurückgezogen. So war das zwar, aber er war wirklich ein Mann mit unbegrenzten Möglichkeiten und einem phantastischen Unternehmungsgeist. Ausgeschlossen, dass nichts mehr von seinen früheren Talenten und Beziehungen vorhanden sein sollte.
    Aber würde er sich über ein Treffen mit einem Zeugen seines früheren, milde ausgedrückt: nicht gerade sündenfreien Lebens überhaupt freuen? Die mit ihm heute Umgang hatten, ahnten nichts von der stürmischen Biographie des heiligen Mönchs. Und das war auch richtig so. Die früheren Sünden waren nur dem Einsiedler selbst und dem Herrgott bekannt; und bis zu seinem Tod würde kein anderer davon erfahren.

ZWÖLFTES KAPITEL
    LES MALHEURS DE LA VERTU oder
DAS UNGLÜCK DER TUGEND
    (De Sade, 1797)
    ». . . Und wann einen jeden von uns der Tod erwartet, das weiß nur Gott, oder einfacher gesagt: niemand, denn Gott ist niemand.« Daniel Vondorin blieb mitten auf dem Weg stehen und streifte seinen kleinen Weggenossen mit prüfendem Blick. »Ich sehe, mein junger Freund, Ihr nehmt keinen Anstoß an meiner Auffassung von Gott als einem Niemand, dem Nichts oder der Leere. Das spricht für die Aufgeschlossenheit Eures Verstandes. Der Vikar von Nowgorod, Eminenz Ambrosius, der mich manchmal in meiner Hütte besucht, ist zwar ein aufgeklärter Mann, aber solche Worte bringen ihn so aus der Fassung, dass er mir am liebsten den Ruf, ich sei ein Gerechter, den er mir selbst eingebracht hat, absprechen würde.«
    »Gnädiger Herr, es wird hell«, sagte Mitja mit kläglicher Stimme, denn Daniel ließ sich so von seiner Philosophie mitreißen, dass er mehrmals stehen blieb. »Wir kommen zu spät! Und außerdem habe ich gebeten, mich nicht mit › Ihr ‹ anzureden – ich fühle mich noch nicht reif genug für eine solche Anrede.«
    »Gut, Dmitri, ich werde es nicht mehr tun. Was hältst du von Gott? Glaubst du an ihn?«
    »Natürlich glaube ich an ihn. Lasst uns bitte weitergehen!«
    »Das habe auch ich getan. Aber was ist der Glaube eigentlich?«
    »Was er ist?«, wiederholte Mitja verzweifelt, denn er wusste schon, dass Vondorin sich nicht von der Stelle rühren würde, bevor er seinen Gedanken nicht ganz ausgeführt hätte.
    »Der Glaube beruht entweder auf vollkommener Sicherheit, das heißt absolutem Wissen, oder auf völliger Unsicherheit, also absolutem Nichtwissen. Alle Leute, die ich kenne, glauben aus Unsicherheit, sie glauben der Kirche aufs Wort. Ich hingegen habe mich vom vollkommenen Nichtwissen entfernt, bin aber noch nicht bei einem allumfassenden Wissen angelangt und kann deshalb nicht glauben. Bisher habe ich nur die Kraft des Verstandes ganz begriffen, also ist dieser jetzt auch mein Gott.«
    »Lieber Herr Vondorin, wir müssen uns beeilen!«
    Sie hatten die Lichtung verlassen und gingen im Morgengrauen in die Richtung, wo der Weg nach Moskau lag. Der Arzt hatte keinerlei Waffe, wenn man den mehr als einen Klafter langen Stock, mit dem er bei jedem Schritt munter auf den Boden klopfte, nicht rechnete. Daniel hatte den ganzen Weg ohne Pause geredet – offenbar hatte die Nacht wieder in ihm die Sehnsucht nach einem Zuhörer geweckt. Mitja hatte anfangs gehumpelt, dann aber fast ganz aufgehört – der Fuß schwoll ab und lief sich ein.
    »Keine Sorge, Dmitri, wir sind schon da.«
    Der Alte verließ den Pfad, trat in den Schnee und zog die Büsche auseinander. Dahinter öffnete sich ein Weg, der im Morgengrauen kaum zu erkennen war.
    »Von hier können

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