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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ist Russland genau das richtige Land. Oder China. Oder ein Land wie Eritrea. Eben eins, wo die Leute in Geschichten hineingeraten.
    Nachdem er sich wieder einmal davon überzeugt hatte, dass er den richtigen Weg gewählt hatte, schloss Nicholas die Augen, lehnte sich an die Wand und schlief ein. Die nervliche und physische Müdigkeit drängte die Kälte in den Hintergrund, doch in seinen Träumen fror Fandorin bitterlich und wusste nicht, wie er sich aufwärmen sollte.
    Das Aufwachen war unangenehm.
    Jemand rüttelte unsanft an der Schulter des schlafenden Magisters.
    Nicholas öffnete die Augen und sah den Sergeanten vor sich.
    »Ausweis«, sagte der Sergeant und streckte die Hand aus.
    Fandorin blinzelte irritiert und überlegte, was er machen sollte.
    »Der ist in meiner Jacke, und die Jacke ist im Auto. Ich habe Ihnen doch gesagt. . .«
    »Ich war in der Autowerkstatt«, unterbrach ihn der Sergeant. »Die haben dicht. Und Ljocha ist seit vorgestern betrunken. Ausweis, habe ich gesagt!«
    Nicholas schwieg.
    »Sie haben keinen Ausweis? Dann vorwärts.«
    Der Sergeant packte den Festgenommenen an der Schulter und veranlasste ihn aufzustehen. Nicholas war einen ganzen Kopf größer als er; für alle Fälle drohte ihm der Milizionär mit dem Knüppel.
    »Sieh dich vor, du Scheißkerl. Wenn ich dir in die Fresse haue, kommst du nicht so schnell zu dir.«
    Da hatte sich also alles von selbst entschieden, dachte Fandorin, während er spürte, wie sich die harten Finger des Streifenbeamten in seine Hand bohrten. Die Freiheit der Wahl ist dahin, ich habe mich in einen Gegenstand verwandelt, der sich mit einer Beschleunigung von 9,81 Meter pro Quadratsekunde bewegt.
    Auf dem Bahnsteig war noch ein Milizionär, ohne Schirmmütze, aber dafür in einer schwarzen Jacke mit Epauletten. Er drehte den Kopf nach rechts und nach links und wandte sich dann ihm zu – Nicholas hätte fast vor Erleichterung aufgeschluchzt.
    Hauptmann Wolf! Gott sei Dank!
    Zwei Minuten später saß Fandorin in dem Miliz-Shiguli, der hinter den Frachtdepots geparkt war, und rieb sich die steif gefrorenen Handflächen. Der Fahnder hatte die Jacke abgelegt, sie dem armen Opfer übergezogen und schaltete auch noch die Heizung ein. Das Leben schien in die gewohnten Bahnen zurückzukehren.
    »Die Jacke ist Mist«, sagte Wolf. »Kunstleder. Es ist nicht meine, sie flog in dem Auto rum. Die Karre ist auch Mist, aus dem Fuhrpark. Ich hab genommen, was ich kriegen konnte, um möglichst schnell bei dir zu sein. Und was sind das für neue Albträume in deinem spannenden Leben?«
    »Ich da-dachte, Tanja ri-richtet es nicht aus«, sagte Nicki zähneklappernd. »Ich ha-hatte kei-keine Hoffnung.«
    »Wer, Tanja? Auf die ist Verlass.« Der Hauptmann seufzte. »Woher kommt es, dass Schlampen eindeutig die verlässlichsten Weiber sind? Was meinst du?«
    Das war keine schwierige Frage, Nicholas hätte Wolf mit Leichtigkeit dieses Phänomen erklären können, aber der gegenwärtige Augenblick war nicht gerade ideal für abstrakte Gespräche.
    Bevor er anfing zu erzählen, fragte Fandorin vorsichtig:
    »Wie bist du mit denen verblieben? Haben sie angerufen?«
    Der Fahnder winkte ab:
    »Na klar. Eine halbe Stunde, nachdem du dich in Nichts aufgelöst hast. Wie ich vorhatte, habe ich sie zum Teufel geschickt.«
    »Und?«
    »Nichts und. Sie haben mir das Handy abgeschaltet. Aber das ist kein Beinbruch, ich habe für zwölf Bucks die SIM-Karte ausgetauscht und mir eine Nummer mit Vorwahl geben lassen. Das ist billiger. Ich schreibe sie dir nachher auf.«
    Aus der Dunkelheit näherte sich ein Landrover mit blendenden Scheinwerfern und kam direkt vor der Motorhaube des Shigulis zum Stehen. In Hochspannung fuhr Wolf mit der Hand in die Hosentasche, und auch Nicholas starrte in Panik auf die undurchlässigen dunklen Scheiben des großen Wagens.
    Aber dem Monstrum entstieg eine elegante, den Bewegungen nach zu schließen, noch junge Frau. Die Fernbedienung fiepte, die Absätze der Frau klapperten auf dem Fahrdamm, und schon war sie in der Nacht verschwunden.
    »Puh«, sagte der Hauptmann, spuckte aus und nahm die Hand aus der Hosentasche. »Ich hab schon wer weiß was gedacht . . . Eine clevere Biene, die stellt sich extra neben ein Milizauto, da wird ihr Prachtexemplar nicht geklaut. Also, was ist denn eigentlich passiert, Bürger Ostankin? Bitte nur die Fakten. Zu den Kommentaren kommen wir später.«
    Und Nicholas beschränkte sich auf die Fakten. Es war erstaunlich, wie einfach

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