Der Favorit der Zarin
»Möchtest du mein Söhnchen sein? Ja? Nenn mich › Mama Pascha ‹ . Einverstanden, mein Kleiner?«
»Mama Pascha«, wiederholte Mithridates verdrossen und wurde sofort mit einem Dutzend heißer Küsse belohnt.
»Und was sollen wir mit diesen Räubern tun?«, sagte Pawlina und deutete auf die beiden Gefesselten. »Hier lassen können wir sie nicht. Sie bringen Pikin auf unsere Spur.«
Einer der beiden Heiducken, der mit der gebrochenen Hand, war noch nicht zu sich gekommen und lag reglos im Schnee. Der andere, den der Stab vom Bock gefegt hatte, fing bei diesen Worten an, mit den Beinen zu strampeln, und kroch weg, im Sitzen, so, wie er war. Sein Kiefer zuckte.
»Ja, das ist ein Problem«, stimmte Vondorin zu. »Natürlich bringen sie ihn auf unsere Spur. Aber ich kann sie doch nicht umbringen.«
»Was denn sonst?«, sagte die Gräfin hart. »Pikin hat meine Diener umgebracht, und die hier haben ihm dabei geholfen.«
Daniel murmelte, gleichsam niemand ansprechend, in Wirklichkeit aber an Mitja gewandt:
»Was ist das für ein grausames Jahrhundert, in dem sogar so zarte Geschöpfe zum Mord aufrufen?«
»Was hast du gesagt, Großvater?«, fragte die Chawronskaja und drehte sich um.
Er runzelte wieder die Stirn und sagte:
»Gnädige Frau, ich habe gesagt, dass ich sie nicht umbringen werde, denn jeder Mensch ist ein Bündel von Geheimnissen. Nicht ich habe es geknüpft, und es ist nicht meine Sache, es zu lösen. Ich habe leider Menschen umbringen müssen, aber das geschah immer ohne mörderische Absicht, aufgrund von unglücklichen Umständen.«
Vondorin ging zu dem vor Entsetzen krächzenden Heiducken und verband ihm in Windeseile den verletzten Kopf. Dem anderen, Besinnungslosen, band er den gebrochenen Arm an die Scheide des Säbels. Mitja wusste, dass die Ärzte so etwas Schiene nannten.
Pawlina schaute und schaute, rang die Hände und sagte:
»Gerade wegen deiner Milde werden sie Pikin auf dich hetzen. Du weißt nicht, was für ein grimmiger Wolf das ist. Er würde dich auch unter der Erde finden, um sich für die Beleidigung zu rächen.«
»Daran zweifle ich nicht«, stimmte Daniel leise zu. »Sie umzubringen, wäre einfacher. Aber ich bin kein Anhänger einer so verstandenen Einfachheit. Wir fahren los, ehrwürdige Erlaucht. Die Zeit ist kostbar.«
Und er stieg auf den Kutschbock.
Als es ganz hell war, belebte sich der Weg nach Moskau. Einzelne Fuhrwerke tauchten auf und auch ganze Züge beladener Schlitten. Die sechsspännige Kutsche stürmte schnell dahin. Sie verlangsamte die Fahrt nur, wenn der Weg anstieg, und wenn er fiel, hörte man die Bremsen quietschen. Daniel knallte mit der Knute wie ein richtiger Kutscher, das Pferdegeschirr klingelte lustig, unter den Kufen stoben Eissplitter. Im Winter kommt man gut voran, das ist etwas anderes als im Sommer. Man wird nicht durchgeschüttelt und hat eine ganz andere Geschwindigkeit. Ein Feldjäger hatte einmal im Palast damit geprahlt (das hatte Mitja selber gehört), er habe die sechshundert Werst bis Moskau im Winter in sechsunddreißig Stunden zurückgelegt. Er aß und schlief nicht unterwegs, nur die Pferde wechselte er.
Kurz nach Mittag erreichten sie Nowgorod, eine so alte Stadt, dass das Gründungsjahr unbekannt ist, sie stammt noch aus der Zeit vor dem Russischen Reich. Während Mithridates blinzelnd die in der Sonne strahlende Kuppel der Sophienkathedrale bestaunte, prüfte er sein Gedächtnis: die Siedlung hat eine Ausdehnung von 452 Desjatinen, die Zahl der Einwohner beträgt zweitausend. Noch im fünfzehnten Jahrhundert gab es hier zweihundertmal so viele Einwohner. Wenn man es recht bedenkt, dann wird mit Moskau, Petersburg und sogar Paris einmal dasselbe passieren. Sie werden verfallen und sich entvölkern, denn alles auf dieser Welt hat einmal ein Ende.
Er kniff die Augen zusammen und stellte sich die zukünftigen Ruinen Moskaus vor: die eingestürzten Kremlmauern; den nackten Roten Platz, über den eine verwilderte Katze streunt; die von
Unkraut überwucherte Twerskaja Uliza; die blinden Fenster der Häuser. Brrr, eine schreckliche Aussicht!
»Mitjuschenka, was verziehst du denn das Gesicht?«, fragte Pawlina und strich ihm über den Kopf. »Bist du müde? Wir ruhen uns jetzt aus, trinken Tee mit Keksen, wir brauchen uns nicht mehr zu beeilen. Die Stadt ist groß, hier gibt es keine Schreckgespenster, die Mitjuschenka etwas antun könnten. Das ist Nowgorod, Neustadt. Vor langer, langer Zeit war sie wirklich einmal neu, aber
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