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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Unmöglich, diesen Blick unter den schwarzen Brauen, die skeptischen Fältchen an den Augen und die hohe Stirn nicht wiederzuerkennen.
    Das war doch Daniel! Aber wie verwandelt er war!
    Ohne den Bart sah er mit seinem hageren, dünnlippigen, runzligen Gesicht gar nicht wie ein Greis aus. Eher wie ein reifer Mann, der soeben noch seine Blütezeit hatte. Die langen Haare waren unterhalb der Ohren abgeschnitten, nach oben gekämmt und hinten zu einem Zopf zusammengebunden; die graue Farbe sah jetzt wie ganz gewöhnlicher Puder aus.
    Verlegen blinzelte Vondorin Mitja zu und verbeugte sich vor der Gräfin. Die runzelte die Stirn, als habe sie Mühe, sich an einen alten, fast vergessenen Bekannten zu erinnern.
    »Da ich schon einmal in der Stadt war«, setzte Daniel stockend an und errötete ein wenig, »habe ich beschlossen, mir ein städtisches Aussehen zuzulegen, wobei mir mein Freund und langjähriger Korrespondent, der hiesige Richter, behilflich war. Ich habe mich aus seiner Garderobe bedient.«
    Erst jetzt hatte Pawlina ihn an seiner Stimme erkannt.
    »Ach!«, rief sie aus. »Dann kommt Ihr also nicht vom Land. Das hätte ich eigentlich schon an Eurer Sprache merken müssen. Aber wer seid Ihr dann? Welchem Stand gehört Ihr an?«
    »Daniel Ilarionowitsch Vondorin, ein echter russischer Adeliger. Ich stehe ehrwürdiger Erlaucht zu Diensten.«
    Die Chawronskaja antwortete mit einem zeremoniellen Kopfnicken. Ihre grauen Augen fixierten den verwandelten Daniel mit Interesse.
    »Wie? Von Dorn? Seid Ihr dann nicht ein Verwandter des Generalleutnants Andron Lwowitsch von Dorn, des Statthalters von Jaroslawl? Aber bitte, setzt Euch doch!«
    »Na klar, er ist der Sohn meines Onkels, also mein Cousin.«
    Daniel setzte sich auf den Rand des Stuhls und stützte den Ellenbogen elegant auf den Tisch. Wenn die ursprüngliche Verlegenheit nicht ein Hirngespinst von Mithridates gewesen war, so war jedenfalls jetzt nichts mehr davon zu spüren. Der einstige Kammersekretär trat sicher auf und redete glatt und ungezwungen wie ein richtiger Salonlöwe.
    »Andron ist schon Generalleutnant? Da hat er aber eine steile Karriere gemacht. Vor zwei Jahren, als ich Moskau verließ, hatte er den Rang eines Obersts und war Staatsrat. Aber das wundert mich nicht. Ihr Zweig ist forscher als unserer. Wir haben schon lange keinen Kontakt mehr mit ihnen, seit dreißig Jahren oder so. Sie nennen sich von Dorn, während ich Vondorin heiße, wie unser Großvater Nikita Kornejewitsch es schrieb. In der kurzen Zeitspanne der Regentschaft Peters des Dritten, als die Deutschen und Holsteiner an Einfluss gewannen, hat Onkel Lew untertänigst um die Erlaubnis gebeten, sich wie unsere alten Vorfahren von Dorn nennen zu dürfen. Als unter der Kaiserin Katharina gebürtige Russen vorgezogen wurden, wollte der Onkel wieder Vondorin heißen, bekam aber keine Erlaubnis.« Daniel unterdrückte ein schadenfrohes Lachen, so dass Mitja klar wurde, das hatte wohl kaum ohne die Mitwirkung eines gewissen Kammersekretärs geschehen können. »Er und seine Nachkommen müssen bei dem Namen von Dorn bleiben. Und die zahlreichen Bastarde des Onkels, die von leibeigenen Mädchen zur Welt gebracht wurden, haben kein › von ‹ , sondern heißen einfach › Dorn ‹ .«
    Die Gräfin lachte. Die Erzählung amüsierte sie.
    »Macht es Euch doch gemütlich, Daniel Ilarionowitsch. Möchtet Ihr Kakao oder Grog? Mitja und ich haben Euch so viel zu verdanken. Mir kommt es fast so vor, als wäre ich schon jahrelang mit Euch bekannt. Man erkennt sofort den erfahrenen Mann, der weit herumgekommen ist. Erzählt doch etwas von Euch. Einer der größten Genüsse im Leben besteht darin, an einem Winterabend am Kamin einem guten, klugen Erzähler zu lauschen.«
    »Findet Ihr wirklich?« Daniel lächelte angenehm berührt. »Das ist ein bemerkenswertes Urteil aus dem Munde einer jungen, schönen Person. Eure Altersgenossinnen, die aussehen wie Ihr, ziehen gewöhnliche andere Genüsse vor.«
    Man sah, dass der Gräfin das Kompliment gefiel.
    »Dann bin ich eben anders als andere«, sagte sie und nahm eine Prise wohlriechenden Tabak aus der goldenen Dose und stopfte ihn in ihr Nasenloch. »Möchtet Ihr Eure Nase reinigen?«
    »Danke für das Angebot. Aber ich mag weder Grog noch Tabak. Ich meide bewusst Gewohnheiten, die den Willen schwächen oder die zu Verweichlichung führen.« Und er fügte hinzu: »Aber diese freiwilligen Beschränkungen habe ich mir erst in reifem Alter auf erlegt. In der

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