Der Favorit der Zarin
eingetauscht.
Daniel richtete sich auf, öffnete den Mund, um zu antworten, und blieb mit offenem Mund stehen. Kunststück! Er hatte in seiner Einöde lange nicht mehr die Schönheit eines Weibes gesehen.
Das Schweigen machte Pawlina noch mehr Angst.
»Was schweigst du so unheimlich? Wie viele seid ihr?«
Vondorin hatte sich endlich wieder gefangen, zeigte auf Mitja und sagte:
»Zwei. Dieser Euch nicht unbekannte Jüngling, der mich hierher geführt hat, und ich.«
Pawlina beugte sich aus der Kutsche, sah Mitja und sprang mit einem Freudenschrei auf den Schnee.
»Mein Junge! Mitja! Du lebst! Ich habe kein Auge zugetan aus Angst, dass du im Wald erfrierst oder dass dich die Tiere fressen.«
Sie fiel vor Mitja auf die Knie, umarmte und küsste ihn, und über ihr schönes Gesicht strömten Tränen.
»Mein Fischlein! Mein Kleiner! Du, sag doch mal was! Na du, nenn mich Passja! Das klingt bei dir so liebenswürdig! Freust du dich, mich zu sehen?«
Was sollte man da machen? Mitja schielte zu Daniel, der diese zärtliche Szene gerührt betrachtete und unwillkürlich ebenfalls Pawlinas Namen vor sich hin lispelte:
»Passja.«
Was konnte er noch sagen, damit sie sich freute?
»Passja hat Mitja gefehlt.«
»Du hast dich also nach mir gesehnt, mein Lieber!«
Da schossen aus ihren klaren grauen Augen noch mehr Tränen, und Daniel hob verwundert eine Augenbraue. Über dem goldenen Köpfchen der knienden Gräfin zuckte Mitja ausdrucksvoll mit den Achseln, womit er sagen wollte: Anders geht es nun mal nicht mit ihr.
Und wirklich – wie sollte er jetzt, nachdem sie zusammen auf dem Nachttopf gesessen und sich umarmt hatten und nach all den anderen Intimitäten plötzlich mit Pawlina wie ein Erwachsener reden? Sie würde ja vor Scham vergehen, und er würde sich fühlen wie ein gemeiner Betrüger.
Als taktvoller Mensch enthielt sich Vondorin jeder Bemerkung. Er stand abseits und wartete geduldig.
Nachdem sie sich die Tränen abgewischt und die Nase geputzt hatte, wandte sich die Gräfin an ihren Retter und sagte:
»Wo hast du es gelernt, dich so geschickt mit dem Stock zu schlagen, Alter? Du hast bestimmt in der Armee gedient, nicht wahr?«
»Natürlich habe ich gedient«, antwortete Daniel würdevoll. »Und zwar nicht in der Armee, sondern in der Garde. Aber den Kampf mit dem Stab habe ich gelernt, als ich in England auf Reisen war. Die dortigen Müßiggänger, die man Gentlemen nennt, haben eine ganze Wissenschaft daraus gemacht, wie man sich mit Knüppeln prügeln kann. Man braucht dafür nicht viel Kraft, sondern nur die Kenntnis bestimmter Regeln. Ich habe ja gesagt, ein gutes Wort und die Wissenschaft siegen immer über rohe Kraft. Aber wo ist denn der Anführer der Räuber? Ich habe damit gerechnet, auf fünf Gegner zu treffen, doch es waren nur vier.«
»Ich habe ihn nicht zum Übernachten in die Kutsche gelassen, sondern ihm befohlen, sich zu entfernen. Als er versuchte, das nicht zu beachten, habe ich ihm gedroht, ich würde mich bei Surow darüber beschweren, dass er mir den Hof macht. Davor hat der Schuft Angst. Er hat die Nacht mit seinen Spießgesellen am Lagerfeuer verbracht. Und als er mich am Morgen begrüßen wollte, habe ich ihm laut eine geknallt. Da fluchte er, schwang sich in den Sattel und jagte das Pferd direkt durch den Waldrand über den Schnee. Seinen Leuten hat er zugerufen, er erwarte sie in Tschudowo, um die Pferde zu wechseln.«
Sie zitterte und sagte besorgt:
»Wir müssen möglichst schnell hier weg. Wenn er es sich anders überlegt und uns entgegenreitet? Pikin ist ein Mörder, ein schrecklicher Mensch, kein Vergleich mit diesen Tölpeln. Mit der englischen Stabkunst kriegst du ihn nicht unter. Ich bitte dich, kühner Alter, bring Mitja und mich zur Station. Ich werde dich großzügig belohnen.«
Vondorin zog die Brauen zusammen. Er antwortete knapp:
»Ich begleite Euch. Aber nicht bis zur Station, wo Ihr kaum Schutz finden würdet, sondern bis Nowgorod. Bitte geht in die Kutsche, gnädige Frau. Und du, Dmitri, setz dich hin.«
Pawlina sagte, vor Lachen prustend:
»Wie komisch du meinen Mitja nennst. Für mich ist er mein Süßer, mein Zuckerknirps. Stimmt’s, Mitja? Er ist ja noch ganz klein und hat es doch geschafft, einen erfahrenen Mann zu Hilfe zu rufen. Wie hat er sich nur verständlich gemacht?«
»Für sein Alter erstaunlich gut«, antwortete Vondorin belustigt, und in seinen Augen blitzte ein Funke.
»Wie klug du bist«, flüsterte die Gräfin Mitja ins Ohr.
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