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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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jetzt ist sie alt, uralt. Du bist jetzt auch jung, ganz neu, aber wenn viele, viele Jahre vergehen, dann wirst du ein alter Greis sein wie der alte Daniel. Ist das nicht komisch?«
    »Ja, das ist komiss«, stimmte Mitja zu.
    Da hältst du dir den Bauch vor Lachen. Es geschieht nichts Neues unter der Sonne. Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? Es ist zuvor auch geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind . . .
    Sie quartierten sich im besten Gasthof ein. Daniel passte auf, dass sie die Pferde ausspannten, und verschwand dann – er sagte, er wolle einen alten Bekannten besuchen, bei dem er auch gleich esse. Mitja und Pawlina bekamen Fischsuppe mit Grütze und gingen einkaufen. Das war offenbar so eine Angewohnheit der Gräfin: Wohin sie auch kam, selbst wenn es das hinterletzte Kuhdorf war, sie ging sofort gucken, was es zu kaufen gab.
    In Nowgorod waren die Läden sehr viel reicher als in Ljuban, und Pawlina wollte Mitja herausputzen. Zuerst hatte sie in einem Geschäft ein »wunderwunderschönes« Batistkleid gesehen und wollte Mitja unbedingt wie ein Mädchen anziehen, aber er stimmte ein solches Gebrüll an (andere Mittel der Verteidigung standen ihm nicht zur Verfügung), dass die Gräfin von diesem Plan Abstand nehmen musste. In beidseitigem Einverständnis verwandelten sie Mitja in einen kleinen Kosaken: er bekam eine blaue Pekesche, Stiefel aus Saffianleder, und das Schönste war die Lammfell-Kosakenmütze mit einem scharlachroten Tuchzipfel. Er besah sich im Spiegel und gefiel sich ausnehmend: wie ein echter Saporoger Kosak.
    Sie verbrachten den Tag mit angenehmen Dingen und setzten sich abends in den Speisesaal des Hotels, um Kakao zu trinken. Pawlina hatte angeordnet, wenn der graubärtige Daniel komme, möge man ihn sofort zu ihnen bringen. Sie wollte ihn großzügig belohnen, mit hundert Rubeln, ihm herzlich für seine Güte danken und ihn zurück in den Wald ziehen lassen. Sie hatten jetzt einen eigenen Kutscher, die Chawronskaja hatte einen unter den Einheimischen gefunden.
    Pawlina war fröhlich und ausgeglichen. Sie erzählte Mitja, wie angenehm und ruhig ihre Reise nach Moskau sein werde. Sie würden nicht alleine fahren, da sei Gott vor, nein, nur zusammen mit verlässlichen Weggefährten. Und kein Pikin könne ihnen da ein Leid antun.
    Abends verwandelte sich der Gasthof offenbar in so eine Art Salon oder Klub; im Saal waren ziemlich viele Besucher. Sowohl durchreisende als auch einheimische Adlige waren anwesend. Sie aßen etwas, tranken Tee oder Kaffee, unterhielten sich nicht zu laut und mit Anstand. Mitja betrachtete dieses erfreuliche Bild und dachte: Wenn die ganze Bevölkerung in Russland so anständig wäre, dann würden wir nicht in Dreck und Suff leben, sondern so kultiviert wie die Leute in Holland oder der Schweiz. Daniel hat Recht, tausendfach Recht: man musste überall die aktive Fraktion vergrößern.
    Ein solider, nicht mehr junger Mann trat an ihren Tisch. Er stellte sich ordentlich vor:
    »Kollegienrat Sisow, ich diene in der Kanzlei Seiner Exzellenz des Herrn Statthalters. Ich sehe es als Pflicht der Gastfreundschaft an, die Gasthöfe zu inspizieren, in denen Reisende adeliger Herkunft Station machen, und zu fragen, ob es Klagen gibt.«
    Das gefiel Mitja ebenfalls.
    Pawlina stellte sich als Petrowa, eine Adelige aus Moskau, vor und bedankte sich für die Aufmerksamkeit.
    »Was für ein prächtiger kleiner Kosak. Wie heißt du?«
    Er hatte einen durchdringenden, aufmerksamen Blick. Es handelte sich offenbar um einen so wichtigen Mann, dass er selbst mit Kindern nicht anders umging.
    Er stammelte:
    »Mitjusja.
    »Na, siehst du.«
    Der Kollegienrat ging an den Nachbartisch, wo eine durchreisende Gutsbesitzerin aus Moskau mit Sohn und Tochter saß. Er redete mit der Gutsbesitzerin und vergaß auch die Kinderchen nicht. Dann schäkerte er mit dem kleinen rotbackigen Deutschen, der mit dem Gouverneur nach Twer fuhr, wo sein Vater im Steueramt arbeitete. Und erst nachdem er die Pflicht der Gastfreundschaft erfüllt hatte, setzte er sich ans Feuer und trank Bier.
    Bald kam noch ein Herr in den Saal: er trug eine braune Jacke aus Kamelott, die Wildlederstiefel reichten bis zu den Knien, die Haare waren ordentlich gepudert. Er stand ein Weilchen an der Schwelle, hustete und ging dann schnurstracks zu dem Kamin, in dessen Nähe die Chawronskaja und Mitja saßen.
    Mitja sah dem Neuankömmling ins Gesicht und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

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