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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Jugend ist übertriebene Enthaltsamkeit schädlich, sie kann zur Verkümmerung der Seele führen.«
    Pawlina lächelte und nieste wohlklingend in ihr Seidentüchlein.
    »Gesundheit und ein langes Leben, Pawlina Anikitischna.«
    Sie wischte sich die Tränen ab und sagte nickend:
    »Danke, das ist sehr liebenswürdig von Euch. Aber erzählt doch, wie Ihr auf die Idee gekommen seid, im Wald zu wohnen. Ich muss zugeben, auch ich habe schon mehrfach Lust gehabt, vor der Eitelkeit der Welt in die unberührten Wälder zu fliehen und da ein einfaches, unkompliziertes Leben zu führen.«
    »Da habt Ihr sicher zu viel Bernardin de Saint-Pierre gelesen, Pawlina Anikitischna.« Daniel seufzte. »Ein äußerst gefährlicher Lesestoff, der mir meinen Bruder, einen empfindsamen und wunderbaren Jüngling, genommen hat. Er reiste in die Neue Welt, um das Paradies natürlicher Einfachheit zu suchen, und kam um. Nein, Gräfin, ich bin aus einem anderen Grund Einsiedler geworden.« Er schwieg und blickte seine Gesprächspartnerin prüfend an, als überlege er, ob er weiterreden solle, fand aber offenbar in ihren Augen etwas, das ihn zur Offenheit trieb. »Wenn Ihr wünscht, erzähle ich es, aber ich warne, es ist eine traurige Geschichte.«
    »Ich bitte Euch herzlich darum!«, rief sie und presste ihre Hände an die Brust. »Mich interessiert das sehr. Und was das Traurige am Leben betrifft, da wird Euch kaum jemand besser verstehen als ich.«
    Mitja hörte dieses in jeder Hinsicht raffinierte Gespräch und war einfach hingerissen. Ein wirklich gutes Gespräch ist wie ein Menuett, das von geschickten Tänzern aufgeführt wird. Jeder kennt seine Partie in- und auswendig und doch steckt in jedem Ton, in jeder Bewegung unendlich viel Eleganz!
    Er setzte sich bequemer hin, um zuhören zu können. Pawlina hatte die Hände unter ihrem rundlichen Kinn gefaltet. Vondorin blickte in die Flamme und löste während des ganzen Gesprächs kein einziges Mal den Blick von den roten Zungen des Phlogistons, das mit einem Knacken den Holzscheiten entwich.
    »Ich will Euch den Beginn meines Lebens nicht in allen Einzelheiten beschreiben, denn es hängt nicht direkt mit den Umständen zusammen, die mich dazu bewegt haben, die Waldeinsamkeit zu suchen. Ich will nur sagen, dass ich in der ersten Zeit meiner Existenz wie die meisten Menschen einfach drauflos ging und weniger den Pfad auswählte, den ich gehen wollte, als vielmehr dem Pfad folgte, der mir am nächsten lag. Diese Zufallswege führten mich ab und zu auf hohe Hügel oder in tiefe Schluchten, aber mein Weg war die ganze Zeit von Nebel verhüllt und, wie viel Mühe ich mir auch gab, ich konnte nur einen Bruchteil der mich umgebenden Landschaft sehen. So wäre ich bis an mein Lebensende wie ein unvernünftiges Kind herumgeirrt, wenn ich nicht eines Tages, ohne dass ich es gewollt hätte, nur dank eines glücklichen Zufalls auf meinen Weg gestoßen wäre.«
    »Wie das?«, fragte Pawlina neugierig. »Ich verstehe, dass Ihr in Allegorien sprecht, aber wie habt Ihr erraten, dass es sich um Euren Weg handelt? Gab es dort einen Wegweiser, auf dem stand: › Für Daniel Vondorin ‹ ?«
    »Nein, es gab keinen Wegweiser, aber wenn man seinen Weg gefunden hat, kann man sich unmöglich irren.«
    »Wieso?«
    »Weil der Nebel, der den Blick vorher behindert hat, sich sofort auflöst. Und man sieht auf einmal die Wälder, Berge und Meere der Umgebung, man sieht den hohen Himmel und, was das Wichtigste ist, man sieht den vor einem liegenden Weg und das Ziel dieses Weges.«
    »Und was ist das für ein Ziel?«
    Die Gräfin wartete so ungeduldig auf eine Antwort, dass sie sich ganz gespannt nach vorn beugte.
    »Mein Ziel erschien mir in Gestalt einer fernen Stadt, die durch hohe Mauern geschützt ist und viele gülden und rosig schimmernde Turmspitzen hat. Einem anderen, der anders als ich gelagert ist, wäre sicher ein anderes Ziel erschienen, vielleicht auch eins, das sich nicht auf der Erde, sondern im Himmel befindet. Aber mir war sofort klar: Ich muss dahin, vorwärts, zu diesen Mauerzinnen, denn dahinter finde ich die Stadt, die Vernunft, Würde und Schönheit auf sich vereint.«
    »Und wie ging es weiter?«
    »Ich ging also diesen Weg, liebe Pawlina Anikitischna. Und nach einiger Zeit, nachdem ich Länder und Jahre durchwandert hatte, entdeckte ich, dass ich auf diesem Weg nicht allein war. Es tauchten Weggefährten auf, nicht viele, aber solche, über die ich mich freute. Wir schlossen uns zu einer

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