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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Europa überrollt hatte, erreichte sie auch unser am Rand gelegenes Reich. Es gibt keinen besseren Hebel, um auf die Mächtigen dieser Welt Druck auszuüben, als die Angst. Es ist bekannt, dass unsere Kaiserin, die durch einen Mord auf den Thron kam, immer verzweifelte Angst um ihr Leben hatte und noch heute hat.«
    Diese aufrührerischen Worte sagte Daniel, ohne seine Stimme auch nur im Mindesten zu dämpfen. Pawlina und Mitja schauten sich spontan um, aber die Leute neben ihnen waren Gott sei Dank mit ihren eigenen Sachen beschäftigt und hörten Vondorin nicht zu.
    Nur der Kollegienrat (wie hieß er noch? Sisow?) schaute ununterbrochen in ihre Richtung, fixierte aber nicht den Sprechenden, sondern Mitja. Er saß übrigens auch so weit entfernt, dass er ohnehin nichts hören konnte. Da fragt man sich, warum starrte er dann so?
    »Katharina hatte einen schwarzen Mann neben sich, einen gewissen Maslow«, fuhr Vondorin unbeeindruckt fort, und Mitja vergaß den unhöflichen Einheimischen sofort, als er den bekannten Namen hörte. »Er leitet die suspekte Behörde, die von der Abwehr der Staatsverbrecher lebt und ohne Staatsverbrecher nicht leben kann. Da diese aber nun einmal relativ selten sind, muss die Behörde sie sich häufig selber ausdenken, und je schrecklicher sie sind, desto besser. Je mehr Angst die Macht hat, desto größeren Spielraum haben die Maslows. Und da fällt nun so ein Geschenk vom Himmel: die Französische Revolution. Maslow sucht unter den Freimaurern in Petersburg Jakobiner. Aber es ist ja bekannt, warum unsere Adeligen bei den Freimaurern eintreten: um ohne Damen zu dinieren und um nützliche Bekanntschaften zu schließen, Was kann es in der Nähe des Throns für Revolutionäre geben? Da lachen ja die Hühner! Alle Logen haben sich vor Schreck sofort untertänigst selber aufgelöst. Da hatte Maslow die Idee, die zweite Hauptstadt unter die Lupe zu nehmen. Da sitzt der Moskauer Hauptkommandeur Fürst Osorowski, ein Rabe, der Maslow in nichts nachsteht. Er freut sich, dass er etwas zu tun kriegt. Jawohl, meldet er, eine Gesellschaft, eine höchst geheime. Die bringen Bücher heraus, verteilen Brot an Hungernde und heilen kostenlos Krankheiten. Wofür und zu welchem Zweck? Klarer Fall: um einen Aufstand vorzubereiten. Auch der Name ist unverständlich: Bruderschaft des Gold- und Rosenkreuzes. Wie bitte, was soll das eigentlich heißen?«
    »Ja, stimmt doch, was heißt das denn?«
    »Unser Gründer gehörte zum Rosenkreuzorden, der die Rose und das Goldene Kreuz verehrt. Ich habe meinen eigenen Sinn in diesen Namen gelegt, in Erinnerung an die mir in der Vision erschienene gülden und rosig schimmernde Stadt. Aber es wurde keine Stadt daraus, sondern ein Kreuz, weil der Geheimrat Maslow und sein Fürst Osorowski meine hochgeistigen Brüder an eben dieses Marterinstrument nagelten. Sie fahndeten nach ihnen, und meine Kameraden waren alles offene, vertrauensselige Menschen, die ihre verbotenen Bücher nicht sonderlich versteckten und mit ihren Gedanken nicht hinterm Berg hielten – diese Narren konnte man mit der bloßen Hand einfangen. Was auch geschah. Der Erste kam nach Sibirien, der Zweite in die Festung, der Dritte verlor den Verstand, der Vierte starb von selbst – es waren ja alles sehr empfindsame Menschen mit einer feinen Seele. Ich habe Glück gehabt . . . Eine hochgestellte Persönlichkeit hat sich für mich eingesetzt. Ich wurde nur einen Monat in der Hauptwache festgehalten und ohne Folgen freigelassen.«
    Die Kaiserin persönlich musste sich für ihn eingesetzt haben, sie hatte ihren Kammersekretär nicht vergessen, erriet Mitja. Und es gefiel ihm sehr, dass Daniel vor der Gräfin nicht mit seiner früheren Stellung prahlte, sondern sie als unwesentlich abtat.
    »Also ist noch einmal alles gut gegangen?«, rief Pawlina erleichtert.
    »Nein.« Vondorin beugte sich vor und stieß mit der Ofengabel ein Holzscheit ins Feuer. Sein Gesicht war leidenschaftslos, rote Lichtstreifen fuhren über die von Runzeln zerklüfteten Wangen. »Nach der Verhaftung kehrte ich unerwartet in mein Haus zurück. Das Gesinde rechnete nicht mehr damit, seinen Herrn je wiederzusehen; den Gerüchten nach zu urteilen, hatte mir mindestens lebenslängliche Zwangsarbeit gedroht. Die Dienerschaft hatte an einem Leben ohne Herren Gefallen gefunden. Ihre Gesichter waren satt und glänzend, sie hatten alle Rhein- und ungarischen Weine aus dem Keller ausgetrunken, die Möbel und Bilder hatten sie verkauft. Sie dachten,

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