Der Favorit der Zarin
es wäre sinnlos, etwas aufzubewahren, es würde sowieso alles konfisziert. Als sie mich sahen, bekamen sie einen Schreck. Warfen sich mir zu Füßen, winselten und baten um Verzeihung. Ich sagte zu ihnen: › Nicht der Rede wert, meine Freunde. Hol der Verstand die Möbel, ich schaffe mir neue an. ‹ Sie winselten noch mehr: › Und verzeihe uns auch Herr, dass wir dein Söhnchen, dein Blut, nicht haben retten können. ‹ Da wurde mir schwarz vor Augen. Ich habe aufgeschrien und wohl für eine Weile sogar das Bewusstsein verloren, was noch nie in meinem Leben vorgekommen ist. Es hat lange gedauert, bis ich von der Dienerschaft die Wahrheit erfahren habe. . . Es war folgendermaßen geschehen.« Daniel hustete wieder. »Ich wurde ja unter großem Wirbel verhaftet, als habe man einen neuen Pugatschow oder Robespierre höchstpersönlich geschnappt. Eine ganze militärische Abteilung kam, mit Gewehren und auf Pferden. Da wurde gerasselt und gebrüllt. Samson war ein Junge mit ängstlicher Seele. Wenn er auf der Kirmes einen Bären an der Kette sah, konnte er sich danach eine Woche lang nicht beruhigen, so Leid tat ihm das Tier. Und hier ging es ja nicht um einen Bären, sondern man hatte seinen eigenen Vater in Fußketten geschmiedet und auf die Straße gezerrt. . . Und da bekam mein Samson Nervenfieber. Ich glaube, dass sich keiner richtig um ihn gekümmert hat, denn für die Dienerschaft hatte ein freies Leben begonnen, da interessierte sie ein krankes Kind nicht. Dabei hatte es das Gesinde bei mir ausgesprochen gut.« Vondorin schüttelte den Kopf, als wundere er sich wirklich über dieses merkwürdige Benehmen. »Ich habe sie gesiezt, habe nie jemand ausgepeitscht, selbst wenn es einen Grund dafür gab. Habe mit ihnen Gespräche geführt, um sie zu Bürgern zu erziehen. Jetzt denke ich, dass aus Sklaven nicht so schnell Bürger werden. Aber das hat mit der Sache nichts zu tun, darum geht es jetzt nicht . . . Mein Sohn phantasierte die ganze Zeit und wollte zu seinem Vater. Eines Tages guckten die Diener in sein Zimmer – das Bett ist leer, das Fenster steht sperrangelweit offen. Er muss, nur mit dem Hemd bekleidet, nach draußen geklettert und – keiner weiß, wohin – gegangen sein. Das war im Winter. Sie haben angeblich sogar nach ihm gesucht, aber vielleicht lügen sie auch. In jener Nacht kam ein Gemisch von Regen und Schnee vom Himmel. Da hatten sie wahrscheinlich keine Lust, ihr warmes Eckchen zu verlassen . . .«
Hier legte er eine lange Pause ein und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Pawlina schluchzte und wischte sich die Tränen mit dem Tuch ab. Mitja hielt sich tapfer, er schluckte die Tränen herunter, sein Gaumen war ganz salzig davon.
»Und weiter? Ich habe mich auf die Suche begeben. Habe eine Belohnung versprochen und Himmel und Erde in Bewegung gesetzt. Aber keiner hatte ihn gesehen, den Knaben von sieben Jahren, mit seinen schwarzen Haaren, der hageren Gestalt und dem blassen Gesicht. Von meinem Jungen fehlte jede Spur. Mein Verstand sagte mir, dass er nicht zu retten war, so krank und leicht gekleidet, wie er war. Ich stellte mir alles Mögliche vor, eine Vision schrecklicher als die andere: Er war irgendwo erfroren oder im Eis durchgebrochen, oder noch schlimmer, er war an einen Unmenschen geraten, der nach verbotenen Lastern gierte.«
Seine Finger, die auf die Tischdecke trommelten, ballten sich auf einmal zur Faust und schlugen so heftig auf den Tisch, dass die Tassen in die Höhe hüpften. Die Leute im Saal drehten sich nach ihnen um, die Gräfin rief nach dem Diener, er solle die Tischdecke wechseln.
Daniel wartete, bis sich alle beruhigten, und setzte seine Erzählung fort.
»Und ich hatte keine Kraft mehr, die Menschen zu sehen. Ich ließ die Bauern frei, gab das Moskauer Haus auf und zog in den Wald. Ich stellte es mir da schön vor: zwischen Pflanzen, Tieren, Vögeln. Die fressen sich zwar gegenseitig auf, quälen einander aber nicht. Doch mein Robinson-Dasein dauerte nicht lange. Auch in meiner Klause ließen mich die Menschen nicht in Ruhe. Da hieß es: Kurier sie, die Verhassten, koch den Weibern mit ihrem dicken Bauch ein Gebräu, reib die Insektenstiche der Kinderchen ein . . . Und es wurde immer schlimmer. Im letzten Frühling suchte mich Seine Eminenz Ambrosius, der hiesige Weihbischof, auf. Er hatte gerüchteweise von einem im Wald hausenden Alten gehört, den die Bauern verehrten. Er kam, um zu prüfen, ob es sich dabei etwa um einen Ketzer oder um Heilkunst durch
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