Der Favorit der Zarin
heidnische Zauberei handelte. Wir haben uns unterhalten, ich habe ihn von seinen Hämorrhoiden mit Leukozinakraut-Zäpfchen kuriert, und er hat mich so lieb gewonnen, dass er mich ab und zu besuchen kommt. Und dann hat er auch noch überall verkündet, ich führe ein heiliges Leben, ja ich sei ein Gerechter. Sie haben allerhand Märchen über mich erzählt, so zum Beispiel: Wie zu Sergej von Radonesch kämen die Bären zu mir, um sich segnen zu lassen, und dergleichen mehr. Ich habe in letzter Zeit mehrfach gedacht, ob ich meine Klause nicht verlassen und mir einen besseren Platz suchen soll. Und in diesem Augenblick hat mir der Verstand gerade Euch geschickt. . .«
»Wollt Ihr denn nicht zurückkehren?«, fragte die Gräfin.
»Das geht jetzt nicht mehr. Ich habe so eine ganz besondere Kerze. Dmitri hat sie gesehen, er weiß das. Als ich heute Morgen aus dem Haus ging, habe ich sie brennen lassen. Ich dachte, ich kann sie ausmachen, wenn ich zurückkehre. Und wenn nicht, dann soll eben alles verbrennen. Dann werden die Dorfbewohner sagen: Daniel der Gerechte ist wie der Prophet Elias in einem Feuerwagen zum Himmel aufgefahren. Auf diese Weise finde ich mich bei den Heiligen wieder.«
Pawlina, die sich noch nicht ausgeschluchzt hatte, konnte nicht anders, als zu lächeln. Mitja dagegen dachte: Er ist wirklich ein meisterhafter Erzähler. Gegen Ende seiner Erzählung hat er das Gespräch vom Traurigen weggelenkt und sogar einen Scherz gemacht – so bleibt im Herzen der Zuhörer kein bitterer Nachgeschmack.
»Und was haben ehrwürdige Erlaucht so rote Äugelchen und so ein heiseres Stimmchen?«, fragte Vondorin, wandte sich der Chawronskaja zu und schaute ihr forschend ins Gesicht.
»Eure Erzählung hat mich zu Tränen gerührt.«
»Nein, das liegt an etwas anderem. Erlaubt mir, dass ich . . .« Er führte vorsichtig seine Hand zu ihrem Gesicht und hob ein Augenlid. »Ja, stimmt. Ihr habt Euch erkältet, meine Liebe. Man muss die Krankheit im Keim bekämpfen, sonst werdet Ihr ernstlich krank. Wollt Ihr das?«
»Ich habe wirklich ein Kratzen im Hals«, gestand Pawlina. »Aber was soll ich denn machen? Ob ich will oder nicht, ich muss fahren.«
»Natürlich sollt Ihr fahren. Ich gebe Euch nur vorher ein Elixier zu trinken, das ich selber zusammengestellt habe. Ich habe gerade von meinem Bekannten die nötigen Ingredienzien bekommen. Ich wusste ja, dass man es unterwegs brauchen kann.«
Er holte ein paar Fläschchen, ein kleines Päckchen und ein Bündel getrockneter Kräuter aus der Tasche. Er winkte den Kellner heran und sagte:
»Hey, bring ein Schnapsgläschen mit dem besten Wodka und eine Zitrone.«
In einer Minute hatte er den Heiltrunk fertig. Die Hälfte musste sie sofort trinken, den Rest füllte er mit heißem Wasser auf.
»Damit müsst Ihr gurgeln. Gehen wir zum Waschbecken, ich zeige es Euch. Ihr werdet sehen, die Entzündung ist dann wie weggeblasen.«
»Bleib hier sitzen, mein Kleiner, wir sind gleich wieder da«, sagte Pawlina, und Mitja blieb allein am Tisch zurück.
Daniel hatte seinen heißgeliebten Sohn also vor zwei Jahren verloren. Da war Samson sieben, so alt wie Mitja jetzt. Musste es für den verwaisten Vater nicht eine Qual sein, einen Knaben desselben Alters vor sich zu sehen?
Und er träumte davon, wie er den verlorenen Samson finden würde: Er lebte und war unversehrt, nur sein Gedächtnis hatte er durch das Fieber verloren. Er lebte bei guten Menschen und kannte keine Not. Aber wenn Mitja dann seinen Vater zu ihm führte, würde sich Samson natürlich an alles erinnern. Was für ein Glück, was für eine Freude! Und der traurige Daniel wird froh sein und wird zu ihm, zu Mitja, sagen . . .«
»Freundchen, ich sehe dich an, und du gefällst mir unheimlich gut«, hörte er auf einmal direkt an seinem Ohr eine einschmeichelnde Stimme.
Mitja drehte sich um und sah dicht neben sich den einheimischen Beamten stehen, der ihn so angestarrt hatte.
»Du siehst so niedlich aus, mein Lieber, dass ich dir etwas schenken möchte«, fuhr ebendieser Sisow fort und lächelte, aber seine Augen lachten nicht mit, sondern blieben angespannt. »Lass uns auf den Hof gehen. Ich habe da einen ganzen Sack voller Lebkuchen. Und eingelegte Äpfel habe ich auch.«
»Iss will aber keine Äpfel«, antwortete Mitja dem aufdringlichen Onkel.
Der aber nahm ihn in die Arme und presste ihn an sich.
»Komm, Junge, wir gehen. Ich zeig dir mein Pferd. Es ist zottig und hat Silberglöckchen. Zieh die Pekesche an.
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