Der Favorit der Zarin
Wageninneren hinter den getönten Scheiben ja dunkel war.
Die Frau drückte auf einen Knopf. Sie wandte sich ihren Weggefährten zu und sagte, offenbar als Fortsetzung eines unterbrochenen Gesprächs:
»Da könnt ihr lernen, mit Köpfchen zu arbeiten, Jungens. Ohne Schlägerei und Schießerei.«
Diese seltsamen Worte veranlassten Nicholas doch, sich die beiden auf dem Rücksitz genauer anzusehen.
Einer von ihnen antwortete mit einer erschreckend bekannten Stimme beleidigt:
»Ja, ja, ohne Schießerei. Und wer hat den Bullen abgeknallt?«
Diese Stimme hatte Nicki schon dreimal gehört: vor dem Nachtklub, auf der Datscha und aus dem Dunkel des Miliz-Shigulis. Das war der Anführer der Banditen! Und neben ihm saß noch ein unguter Bekannter: der mit der platten Nase.
Fandorin rüttelte an dem Türgriff, der nicht daran dachte nachzugeben. Das Auto fuhr an, sanft, aber so schnell, dass der Zeiger des Tachos schon ein paar Sekunden später Hundert anzeigte, da aber nicht stehen blieb, sondern weiterkroch und dann selbst in den Kurven nicht mehr unter 160 fiel.
»Wie ich Sie leid bin, mein schöner Sir«, sagte die verrückte Fahrerin, während sie sich in die Lücke zwischen zwei Lieferwagen klemmte und sich gleichzeitig eine dünne, schwarze Zigarre anzündete. »Wir mussten aus dem weiten Moskau herkommen, um Sie zu finden; es war interessant nachzuforschen, wohin es Sie verschlagen hat. Da haben Sie also eine Wallfahrt unternommen!«
Sie hauchte eine kleine, duftende Rauchsäule aus, löste sich aus dem Verkehrsstrom und raste auf die Gegenfahrbahn. Ein frontal entgegenkommender Tankwagen hupte verzweifelt, aber wie durch ein Wunder kam es nicht zu einem Zusammenstoß. Fandorin blieb die Luft weg.
»Während ich hinter Ihrem Zug herfuhr, habe ich ein Dossier über Sie zusammenstellen lassen, und zwar sowohl in Moskau als auch in England. Ich konnte es zunächst nicht glauben, ich dachte, wir hätten nicht tief genug gegraben. Doch es stellte sich heraus, dass Sie eine taube Nuss sind.«
Der Stau lag jetzt hinter ihnen, so dass die Slalommeisterin fahren konnte, wie sie wollte. Wenn jemand Fandorin erzählt hätte, man könne auf einer popeligen Landstraße zweihundert fahren, hätte er das nie im Leben geglaubt. Der Magister schaute gebannt auf das sich rasend schnell abspulende graue Band der Straße, und in seinem Kopf klopfte es: nur ein einziges kleines Schlagloch, und sie wären geliefert. . .
»Das ist doch gut, dann wissen Sie also jetzt, dass ich keinerlei Gefahr für Sie darstelle«, sagte er und schluckte. »Warum wollen Sie mich dann entführen? Sie hätten mich doch umlegen können, und basta. Sie werden mich ja sowieso umbringen, weil ich Ihren Rothaarigen auf dem Gewissen habe.«
»Dass Sie meinen Knaben umgebracht haben, geht ja noch. Was schlimmer ist, ist die Tatsache, dass ich Ihretwegen so viel Zeit verloren habe. Ein Arbeitstag von mir ist teurer als . . .« Sie stockte, winkte lässig mit der Hand ab, in der sie die Zigarre hielt, und fuhr fort: »Wenn man Sie ausweiden würde und alle Ihre inneren Organe zur Transplantation den uralten Ölscheichs verkaufen würde, wäre das noch nicht genug.«
Der Vergleich war so deftig, dass Nicholas für eine Sekunde die Augen von der Landstraße losriss.
»Sie umzulegen, dazu gehört nicht viel«, setzte die gereizte Schöne hinzu. »Wir könnten Sie einfach aus dem Auto schubsen, dass Sie den Asphalt ölen, basta . . .«
Sie riss sich die Brille von der Nase und knallte sie vor die Windschutzscheibe. Fandorin konnte zum ersten Mal ihr Gesicht studieren.
Er hatte die Frau wirklich schon einmal gesehen, aber das hatte nichts mit Kramskojs Gemälde »Die Unbekannte« zu tun.
Wieso hatte er sie nicht gleich an der Stimme erkannt? Zwar hatte damals die Musik einen Mordskrach gemacht, und sie hatte nicht böse und abgehackt gesprochen, sondern gedehnt und schmachtend . . .
Er hatte die Verführerin aus dem »Cholesterin« vor sich. So dass die Kette der Ereignisse eine Logik bekam.
Zuerst hatte diese Skalpjägerin versucht, Nicholas mit Hilfe ihres weiblichen Charmes in eine Falle zu locken. Als das nicht klappen wollte, rief sie ihre Kopfjäger, die ihn auf der Straße abpassten. Und die Frau, die vor Wolfs Tod dem aus dem Nichts aufgetauchten Jeep bei den Güterschuppen des Bahnhofs Lepeschkino entstieg, das war ebenfalls sie, so viel war sicher.
Da hatte der Magister, der sich auf seinen Tod einstellte, auf einmal eine hervorragende Idee: Er
Weitere Kostenlose Bücher