Der Favorit der Zarin
ja sie klangen fast neidisch.
Aber der Guru strahlte gleich wieder und lächelte.
»Macht nichts, der Herr ist gnädig und wird mir schon Speise besorgen. Dann esse ich eben Magerjoghurt und synthetisches Eiweiß. Den Weizen braucht man auch nicht zu bedauern, er wäre sowieso verblüht. Auch Fallobst, also Früchte, die man nicht pflückt, sondern nur vom Boden aufhebt, wären eine Alternative. Die schmecken sogar besser . . . Sehen Sie, da habe ich Ihnen mein Herz aus geschüttet, und mir geht es sofort besser. Aber jetzt erzählen Sie erst mal, wieso Sie hergekommen sind?«
Und Nicholas erzählte alles von A bis Z, die ungeschminkte Wahrheit.
». . . Wenn mir überhaupt jemand helfen kann, dann Sie«, mit diesen Worten schloss er sein Schauermärchen.
Syssoj guckte finster und schwieg eine Weile. Dann schlug er mit seiner dicken Hand auf den Tisch, fluchte in seiner georgischen Muttersprache und verwandelte sich auf einmal von einem heiligen Einsiedler in den früheren Freibeuter:
»Verfluchte Scheiße! Früher hätte ich Ihr Problem ganz einfach gelöst. Ich hätte nachgeforscht, wer hinter dem Ganzen steht. Wenn es ein ernstzunehmender Mann ist, würde ich kuschen. Wenn das nicht der Fall ist, würde ich den Fall meiner Sicherheitsabteilung übergeben. Wissen Sie noch, was das für tolle Kerle waren? Es gibt sie nicht mehr. Ich habe sie entlassen und ihnen eine Abfindung gezahlt. Jetzt arbeiten sie für andere Leute. Nur Giwi ist noch bei mir. Er wurde x-mal angesprochen und mit viel Geld von anderen Auftraggebern gelockt, hat aber kein Angebot angenommen. Er ist jetzt bei mir Küster, obwohl er gar nicht an Gott glaubt. Jedenfalls meint er das. Ich würde ihn Ihnen ausleihen, Giwi ist auch allein zu allem Möglichen imstande. Aber er wird den Fall nicht übernehmen, er bringt es nicht übers Herz, mich auch nur einen Augenblick allein zu lassen . . .«
»Aber Ihre anderen Unternehmen funktionieren doch noch! Alles läuft nach dem Motto: › business as usual ‹ Also müssen doch auch Ihre alten Beziehungen noch bestehen!«
»Was für Beziehungen?«, fragte der frühere Oligarch ratlos. »Ich sage doch, der Trust hat alles in der Hand. Ich habe noch nicht einmal Geld. Die Hälfte der Einnahmen geht für wohltätige Zwecke drauf, die andere Hälfte bekommen meine Frau und meine Tochter. Business as usual! Meine Frau ist natürlich eine Schlampe, Gott möge mir dieses böse Wort verzeihen.« Als er das gesagt hatte, bekreuzigte er schnell seinen Mund. »Aber sie kann ja nichts dafür, dass sie mit solchen Genen auf die Welt gekommen ist. In der Heiligen Schrift heißt es: »VND da der HERR anfieng zu reden / durch Hosea / sprach er zu jm / Gehe hin / vnd nim ein Hurenweib vnd Hurenkinder / Denn das Land leufft vom HERRN der Hurerey nach.« Es steht nicht in meiner Macht, Sie vor der eitlen Welt zu schützen. Ich gehöre nicht mehr dazu, Nikolaj Alexandrowitsch, mit keiner Faser und unwiderruflich.«
»Soll das heißen, es gibt keinen Ausweg?«
Nicholas wurde bleich. Es konnte doch wohl nicht sein, dass sich seine letzte Hoffnung in Luft auflöste. Die lange Reise aus Moskau konnte doch nicht reine Zeitverschwendung gewesen sein?
»Einen Ausweg gibt es immer, Knecht Gottes«, antwortete Syssoj, der sich wieder in einen alten Heiligen verwandelt hatte. »Ich kann dich in der Welt draußen nicht vor dem Bösen bewahren, aber hier, auf dieser Insel der Seligen, kann ich das sehr wohl. Lass deine Altyn kommen, lass deine Kinder kommen, bau dir eine Hütte, ich helfe dir dabei. Ihr würdet hier völlig angstfrei leben, denn kein Mensch kann euch ein Haar krümmen.«
Nicki kniff für einen Augenblick die Augen zusammen und malte sich diese Waldesidylle aus.
Er sah folgendes Bild vor sich: In schlabberigem Hemd und Gürtel schnitzt er selbst, die Axt in der Hand, einen Balken zurecht, in Bastschuhen kommen Gelja und Erast, beide mit Körben voller Walderdbeeren, und die Chefredakteurin der Zeitung »Eross« trägt ein Kopftuch und hat ein Tragejoch geschultert.
»Nein, daraus wird nichts«, sagte er laut. »Altyn wird es hier nicht aushalten.«
»Macht nichts, dass sie Mohammedanerin ist«, der Guru hatte Nicholas missverstanden, »es gibt ja nur einen Gott. Alles andere ist Formsache.«
Auf dem Rückweg zur Eisenbahn dachte Fandorin an die unweigerliche Auseinandersetzung mit seiner Frau.
Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie es strikt ablehnen würde, mit ihrem geflohenen Ehemann
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