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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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überhaupt ein Wort zu wechseln. Er konnte nicht darauf hoffen, dass es Valja gelungen war, die Notiz für sie im Briefkasten auszutauschen. Am wahrscheinlichsten war, dass der Assistent, um Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen, längst im Eiltempo von seiner Frau Mammon evakuiert worden war und sich bereits bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen seiner zertrümmerten Nase annahm.
    Altyn wüsste also nur, dass ihrem Mann aus heiterem Himmel das Familienleben stank und er den Wunsch hatte, ein Weilchen allein zu leben. Dann konnte man sich kaum vorstellen, was für einen Rochus sie jetzt auf ihn haben musste. Und anrufen konnte er auch nicht. Das Telefon wurde mit Sicherheit abgehört.
    Er musste Mittel und Wege finden, sie mit einer List an einen ungefährlichen Ort zu locken, um sich mit ihr zu treffen. Als Erstes würde sie ihn natürlich anbrüllen. Es konnte auch sein, dass sie ihn schlagen würde. Das hatte es durchaus schon gegeben. Aber wenn er ihr endlich von dem Vorgefallenen erzählen könnte, würden sie schon gemeinsam eine Lösung finden.
    Was für eine?
    Zu seinem bisherigen Leben, das ihm nun wie ein verlorenes Paradies erschien, gab es kein Zurück. Das heißt, es gab nur einen Ausweg: die Flucht.
    Ob Altyn ihrerseits Lust haben würde, Haus, Arbeit und Heimatstadt aufzugeben, um mit ihm zusammen die Flucht anzutreten?
    Das war fraglich.
    Und wenn sie wollte, wohin könnten sie denn fliehen?
    Ins Ausland? Wie das der kühne Hauptmann Wolf vorgeschlagen hatte? »Wenn es um einen der ihren geht, hast du keine Chance; ich kenne ihren Kodex. Da kannst du nach Australien fahren, die kriegen dich auch da.« So zeigte sich, dass es hier im Wald unter dem Schutz des Weisen Syssoj vielleicht wirklich am sichersten war. Denn auf diese Idee kämen die Banditen auf Garantie nicht.
    Es war ja eigentlich auch gar nicht so schlimm. Ihm würde eigentlich nichts von dem fehlen, was man zum Leben wirklich braucht. Altyn würde die Kinder großziehen, er würde als Syssojs Assistent arbeiten – im Grunde genommen machten sie beide ja dasselbe: Sie halfen Menschen, die in Not waren.
    Wer von den Pilgern den Rat eines Geistlichen oder ein Gebet brauchte, würde zu dem Guru gehen. Wer nur einen praktischen Rat brauchte, der würde sich an Nicholas wenden.
    Und sie würden ein einfaches, klares und gutes Leben haben. Wie Paul und Virginia bei Bernardin de Saint-Pierre.
    Hinter ihm quietschten Reifen und heulten Bremsen auf. Die niederen Geräusche der Zivilisation brachten Nicholas in die Wirklichkeit zurück.
    Neben dem Fußgänger hielt ein großes Auto mit dunklen Fenstern. Fandorin hatte keine Zeit, einen Schreck zu kriegen, denn eins der Fenster wurde heruntergekurbelt – am Steuer saß Gott sei Dank eine Frau. Sie war jung, modisch durchgestylt und sehr, sehr schön, das sah man, obwohl ihr halbes Gesicht von einer lila Brille verdeckt wurde.
    »Entschuldigen Sie, kennen Sie sich hier aus?«, fragte diese Venus und strich mit der Hand über ihren tollen Silberfuchskragen.
    Seltsam, Fandorin hatte das Gefühl, er habe diese Schönheit schon einmal gesehen. Vielleicht auf einem Gemälde von Kramskoj? Ein kalter Tag, ein silbern funkelnder Pelz und eine schöne Unbekannte mit arrogantem, forderndem Blick.
    Er schüttelte den Kopf, um den Spuk zu vertreiben. Es handelte sich offenbar mal wieder um eine Pilgerin. Wahrscheinlich war auch ihr irgendein Unglück zugestoßen, vor dem weder Schönheit noch Reichtum einen feien.
    »Wenn ich wenigstens wüsste, wo ich bin«, sagte die Schöne und lächelte hilflos. »Wenn es um Topographie geht, bin ich eine totale Niete. Ich verstehe noch nicht einmal, in welcher Richtung ich eigentlich fahre. Ich habe eine Karte mit, aber ich komme damit nicht zurecht. Könnten Sie vielleicht mal gucken?«
    Nicholas lächelte ebenfalls; es war das ewige Lächeln der Männer, das ungefähr Folgendes besagt: Oh, ihr modernen Herrinnen des Lebens, wie schnell verliert ihr doch die Sicherheit und den Mut, wenn ihr mit nicht für Frauen bestimmten Dingen in Berührung kommt: mit der Straße, der Karte, dem Raum.
    Man konnte eine so naive und teilweise ja auch schmeichelhafte Bitte doch nicht abschlagen!
    Er öffnete die Tür und setzte sich auf den elastischen Ledersitz.
    »Wo ist denn Ihre Karte?«
    Er spürte unwillkürlich eine stechende Enttäuschung: Hinten saß noch jemand (wie es schien, sogar gleich zwei). Er genierte sich, sie genau in Augenschein zu nehmen, zumal es im

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