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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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habe nach dir gefragt, da sagte sie: › Schade, dass Ihr Mann verschwunden ist, sonst würde ich ihn für meine Valja aufs Kreuz legen. ‹ Herrgott, ich habe zwei Nächte nicht geschlafen. Ich laufe in der Wohnung auf und ab und weiß nicht, ob ich Semjon Semjonowitsch anrufen soll oder nicht.«
    Das war ein Oberst aus der Leitung der Abteilung Kampf gegen das organisierte Verbrechen, der die Aufgabe hatte, die Zeitung »Eross« vor Unannehmlichkeiten sowohl vonseiten möglicher Gesetzesbrecher als auch vonseiten der Gesetzeshüter zu bewahren. Altyn hatte ihren Mann nicht in die Einzelheiten dieser delikaten Beziehungen eingeweiht, sie hatte nur gesagt: »Das machen jetzt alle so.«
    »Semjon Semjonowitsch brauchen wir nicht«, sagte Fandorin schnell, und als er verstanden hatte, dass sie ihm die Version mit dem »wichtigen Auftrag« nicht abnahm, fügte er hinzu: »Unternimm nach Möglichkeit gar nichts! Und warte!«
    Altyn rang krampfhaft nach Luft. Nicholas entnahm daraus, dass es keinen Sinn hatte, sie zu belügen, sie kannte ihn zu gut. Aber er konnte auch nicht die Wahrheit sagen. Ob er sie mit den Kindern möglichst weit weg von Moskau schicken sollte, wie es Valjas umsichtige Mutter getan hatte? Aber ob Jeanne das zulassen würde?
    »Es steht alles sehr schlecht, meine Liebe«, sagte er dumpf. »Aber ich werde mir Mühe geben. Große. Es gibt noch Hoffnung . . .«
    Und er drückte auf die Gabel, denn er merkte, er würde gleich schmählich losheulen.
    Das war ja vielleicht ein schönes Gespräch, das konnte man nicht anders sagen! Dabei hatte er seine Frau beruhigen wollen. Was für ein Feigling er doch war, ein Waschlappen! »Ich werde mir große Mühe geben, es gibt noch Hoffnung. . .« So ein Schwachsinn, hilfloses Gestammel! Die arme Altyn . . .
    Aber andererseits, was hätte er denn sonst sagen sollen?
    Selbst wenn Max und die Plattnase nicht hinter ihm gestanden hätten.
    Nicki fuhr zu der neuen Arbeitsstelle wie zum Schafott.
    Nein, schlimmer als zum Schafott, denn wenn man dich zur Hinrichtung führt, brauchst du nicht viel zu machen: Du darfst nicht vor Entsetzen heulen, du bekreuzigst dich in alle vier Himmelsrichtungen, legst den Kopf auf die nach rohem Fleisch riechende Richtstatt und kneifst möglichst fest die Augen zu. Die Aufgabe hier dagegen war komplizierter, sie hatte etwas Masochistisches.
    Er musste nicht nur am Ort der Hinrichtung erscheinen, sondern er musste sich auch noch ein Bein ausreißen, damit man ihm erlaubte, das verfluchte Podest zu besteigen. Im Landhaus von Herrn Kuzenko, Direktor der Klinik »Die Meeresfee Melusine« (ja genau, derselbe Kuzenko, der in Schibjakins Liste der Verurteilten genannt ist), wartet man auf den Kandidaten für die Stelle des Gouverneurs, er ist der Hausfrau aufs Wärmste empfohlen worden, aber er muss trotzdem zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen. Wenn Nicholas aus irgendeinem Grund, egal aus welchem, abgelehnt wird, dann . . . Jeanne hatte die Folgen mit erschöpfender Klarheit dargelegt. Und hatte noch hinzugefügt (als hätte sie den Rat gehört, den Fandorin erst vor gar nicht langer Zeit für genau diese Situation gegeben hatte): »Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, wenn Sie Hand an sich legen, könnten Sie das Leben Ihrer Kinder retten. In diesem Fall gehe ich einfach davon aus, dass Sie mir nicht ein Kind sondern Ihre beiden Kinder schulden.«
    Vor keinem Examen hatte der Magister der Geschichte so gezittert wie vor diesem. War das nicht die Aufnahmeprüfung für die Hölle?
    Die Finger drückten das Steuer so heftig, dass die Knöchel weiß wurden. Fandorin fuhr das Auto auf eine gar nicht zu ihm passende Weise: ruckartig und in Schlangenlinien, er überholte wahllos links und rechts, und nachdem er vom Kutusow-Prospekt in die Rubljowskoje-Chaussee eingebogen war, beschleunigte er, kaum dass der Strom sich ein wenig gelichtet hatte, auf mehr als hundert. Was war das: die Ungeduld des Patienten vor einer qualvollen, aber unvermeidlichen Operation oder das unbewusste Streben, in einen Unfall verwickelt zu werden und zwar möglichst in einen mit tödlichem Ausgang? Als ihm klar wurde, welche Konsequenzen diese Wendung der Dinge haben würde, drosselte Nicholas die Geschwindigkeit stark, aber das währte nicht lange, schon nach einer Minute brach der VW Golf wieder aus.
    Das Auto war zwar nicht neu, aber gut. Jeanne hatte gesagt, so ein Auto fahre ein nicht reicher, aber ernstzunehmender Aristokrat, der gezwungen ist, seinen

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