Der Favorit der Zarin
Vulgarismen gebraucht, das geht ja noch, aber sie muss diese fürchterliche Aussprache loswerden! Weiter. Das allgemeine Niveau. Stellen Sie ein Kulturprogramm zusammen, bringen Sie ihr guten Geschmack bei und vermitteln Sie ihr ein Grundwissen in bildender Kunst und Musik. Mein Mann und ich legen besonderen Wert auf die richtige Lektüre. Nicht die obligatorische, die zum Schulprogramm gehört, sondern die Privatlektüre. Was man an Literatur dieser Art gelesen hat, das ist genau das Kriterium, nach dem die feinen Leute einen einschätzen.«
Nicholas nickte ernst und dachte, wie rührend doch das Bemühen der neuen Elite um Raffinement ist. Die Männer haben natürlich keine Zeit für »Privatlektüre«, sie sind zu beschäftigt damit, zu überleben und die anderen zu fressen, sie müssen »schmieren«, »zu Geld machen«, »lavieren«. Aber die Frauen, die ewigen Beschützer und Förderer der Kultur, sehnen sich nach Schönem, selbst wenn es sich bisher lediglich in pummeligen Putten an der bemalten Decke und scheußlichen Porträts im Goldrahmen zeigt. Das macht nichts, sie heuern teure Bonnes und Gouverneur für ihre Sprösslinge an und bringen ihnen bei, Kunst von Kitsch zu unterscheiden. Schnell, sehr schnell überzieht sich die geschlagene Milch des russischen Lebens mit einer Sahneschicht vom Feinsten.
»Agbartschik, mein Goldstück!«, rief die Frau auf einmal und unterbrach ihren Monolog. Sie spitzte die Lippen zu einem Kuss, streckte die Arme nach unten, und ein weißes, gepflegtes Hündchen sprang ihr auf den Schoß. »Guck mal, das ist unser neuer Freund, den darfst du nicht anbellen und erst recht nicht beißen.«
Fandorin hatte immer ein gutes Verhältnis zu Hunden, aber als er den hier sah, zuckte er zusammen – er erinnerte sich an Jeannes Worte, die sie während der irren Raserei auf der Landstraße gesagt hatte.
Das Schoßhündchen sprang auf den Boden und drückte seine Schnauze auffordernd gegen seinen Schuh. Nicholas schaute mit Abscheu auf die nasse Nase und die hängende rosa Zunge und sagte mit gepresster Stimme:
»Ein toller Hund. Aber warum heißt er › Agbar ‹ ? Das ist doch ein männlicher Name!«
»Er ist ja auch ein Junge«, flötete sein Frauchen und nahm den winselnden Agbar auf den Arm. »Gucken Sie mal, wie er Sie ansieht. Sie haben ihm gefallen . . . Wo war ich gleich stehen geblieben? Ach so. Das mit der Privatlektüre habe ich schon gesagt. Jetzt die Hauptsache. Dem Mädchen muss Benimm beigebracht werden, sie ist verheerend unerzogen. Die Schulfächer, darum brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Unsere Kleine wird von Fachlehrern unterrichtet, und sie macht in allen Disziplinen große Fortschritte. Aber ihre Haltung, ihre Sprache, ihr Gang! Das Mädchen ist entsetzlich verwildert. Sie gähnt schamlos mit offenem Mund und hält noch nicht einmal die Hand davor. Wenn sie einen Hick hat, sagt sie: › Hick, Hick, geh zu Dick, von Dick zum Fick, vom Fick zum Flick. ‹ Wenn jemand niest, sagt sie doch tatsächlich coram publico › Gesundheit ‹ . Ist das nicht unerhört?«
Nicholas nickte verständnisvoll.
»Ich möchte sie möglichst schon Silvester in die Gesellschaft einführen können.«
Er gab sich Mühe, ein Schmunzeln zurückzuhalten, als er sich die »Gesellschaft« vorstellte: Geschäftsleiter von gestern sowie ehemalige Mitarbeiter und Buchhalter des Bezirkskomitees der Kommunistischen Partei, das waren die Leute, die in diesem aristokratischen Salon verkehrten.
»Aber noch davor, am nächsten Dienstag, wird es die erste ernste Prüfung für Mirotschka geben. Ihr Vater hat beschlossen, an ihrem Geburtstag zu einem Empfang zu laden. Es werden viele Gäste kommen. Sie darf sich nicht blamieren. Was meinen Sie, Sir Nicholas, können Sie in dieser kurzen Zeit schon viel erreichen?«
Er schüttelte besorgt den Kopf und runzelte die Stirn, wie das ein Klempner zu tun pflegt, der sagt: »Boss, hm, also ich weiß nicht, du siehst ja selber, da ist noch massig zu tun, und meine Schicht ist gleich zu Ende.«
Doch richtig in Fahrt gekommen, meinte er:
»Das kriegen wir schon hin. Sie wird den Mund beim Gähnen geschlossen halten, das kann ich Ihnen garantieren. Ach, damit ich es nicht vergesse, wie alt ist Ihr Kind eigentlich?«
Die Antwort war eine Überraschung:
»In drei Tagen wird sie achtzehn.«
Das war ja ein Ding! Und das, wo die Mutter nie im Leben älter als dreißig aussah.
Inga Sergejewna lächelte, sie interpretierte die Verwunderung ihres
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