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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Lebensunterhalt als Lehrer zu verdienen. Die Kleidung hatte Nicholas im »Patrick Hellmann«-La-den gekauft: zwei konservative Tweedjacketts, ein paar Hemden, das Stück für 200 Dollar, und Krawatten in gedeckten Farben. Die Verkäuferinnen hatten gerührt gelächelt, als sie sahen, wie eine schicke Dame im Pelz ihren baumlangen Gatten ausstattete, und der stand griesgrämig da und war völlig desinteressiert. Es ist doch ein Kreuz mit diesen Männern!
    Fandorin schaute auf den Stadtplan und bog ab; er musste danach noch einmal abbiegen: auf die Landstraße nach Swenigorod. Jetzt war es nicht mehr weit.
    Da war schon die Abfahrt auf die frisch asphaltierte Straße, die mit jungen Linden begrünt war. Ein Wegweiser mit dem pathetischen Namen »Gutshof Trost« (neurussischer Kitsch in voller Schönheit) hing unter dem Verkehrsschild, das die Einfahrt verbot.
    Das Gut sah man von weitem: ein pseudoklassizistisches Haus mit Säulen, Seitenflügeln und Wirtschaftsgebäuden, umgeben von einer hohen Steinmauer.
    Als er sich näherte, sah Nicholas, dass auf der Mauer alle zehn Meter eine Videokamera installiert war; auch das Tor war nicht ohne, es war mit Stahl beschlagen, nicht einmal ein Panzer wäre da durchgekommen. Die »Unfassbaren Rächer« würden es nicht leicht haben, sich zu diesem »Schwein und Betrüger« vorzuarbeiten. Der Sittenwächter kniff die Augen zusammen und wackelte mit dem Kopf. Er musste sich zusammennehmen und beruhigen. Die Arbeitgeberin durfte auf keinen Fall in seiner Stimme oder Mimik etwas Künstliches entdecken – dann wäre es aus, er wäre durchgefallen.
    »Lassen Sie das Fenster herunter«, sagte eine Stimme, die aus dem Lautsprecher kam.
    Er ließ es herunter und zog die Lippen zu einem gleichgültigen Lächeln auseinander.
    »Fahren Sie weiter, Herr Fandorin. Der Parkplatz für Gäste ist rechts vom Beet.«
    Das Tor öffnete sich lautlos. Er fuhr hindurch.
    Das Haus war gar nicht neu, wie es Fandorin von weitem vorgekommen war. Echter russischer Klassizismus. Wenn man genau hinsah, konnte man hinter den späteren An- und Umbauten an der Fassade und den Säulen noch das achtzehnte Jahrhundert ausmachen. Es war nur schade, dass die neuen Russen kein Gefühl für die Schönheit des Verfalls hatten, es sah alles zu frisch gestrichen und auf Hochglanz gebracht aus. Sie würden dieses Gefühl schon noch entwickeln. Wie Bronze braucht Reichtum Zeit, bis er sich mit einer edlen Patina überzieht.
    Nicholas ließ die Putzfrau (die mit ihrer Schürze und dem Spitzenhäubchen schon fast komisch, wie einem Film entsprungen wirkte) mit Absicht ein bisschen warten, während er skeptisch die Decke im Flur inspizierte: Wolken, gut genährte Putten, Apollon auf dem Wagen – ein Mischmasch, phantasielos auf Rokoko getrimmt. Er wackelte vielsagend mit dem Kopf. Als hätte er noch nicht entschieden, ob er einwilligen könne, in einem Haus zu arbeiten, wo die Besitzer so wenig Wert auf das Interieur legten.
    Er betrat das Wohnzimmer mit einer herablassenden und etwas besorgten Miene: der Maler Makowski, das Bild »Besuch der Armen«. Und diktierte seinem Herzen den Rhythmus, statt tack, tack, tack, tack: tack . . . tack . . . tack . . . tack. Das Herz bemühte sich aus Leibeskräften, aber es wollte ihm nicht gelingen.
    All das war vergebens: sowohl die aufgesetzte Würde als auch der Druck auf den Adrenalinspiegel. Die Hausfrau interessierte nur eine einzige Frage: ob es stimmte, dass Nicholas ein echter Baronet war.
    Madame Kuzenko war eine junge und unglaublich schöne Frau. Alles an ihrem Gesicht war ideal: die Haut, die Zeichnung der Lippen, das graziöse Näschen und die Form der Augen. Nicholas versuchte in Gedanken, doch an irgendetwas Anstoß zu nehmen, brachte es aber nicht fertig – Inga Sergejewna war die Vollkommenheit in Person. Hätte sie ein wenig geschielt oder etwas abstehende Ohren oder einen breiteren Mund gehabt – mit einem Wort, irgendeinen Defekt –, sie wäre einfach unwiderstehlich, dachte Fandorin. So aber war sie der Inbegriff einer Barbiepuppe, frisch tiefgekühlter Erdbeeren.
    »People at the agency told me that you have a hereditary title. Is it true?«, fragte die Besitzerin, wobei sie sich Mühe gab, die englischen Worte richtig auszusprechen, was ihr aber nicht sehr gut gelang.
    »I am afraid, yes«, antwortete der Bewerber aristokratisch bescheiden lächelnd und zuckte noch ein wenig die Achseln, als wolle er sich für diesen Umstand seiner Biographie entschuldigen.

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