Der Favorit der Zarin
Schar der Höflinge geriet wieder in Bewegung – ein strenger Herr mit Goldbrille bahnte sich einen Weg zum Tisch. Er schrie schon von weitem, mit einer Aussprache, die ebenfalls komisch war:
»Hört sofort auf! Majestät, Ihr ruiniert Eure noble Gesundheit, wenn Ihr diesem Scharlatan vertraut! Ich habe sein so-called Elixier analysiert! Rossurin, gemixt mit billigstem Matrosenfusel!«
Er packte den Griechen an der Schulter, um ihn wegzuziehen.
»Na klar, Pferdepisse.« Der Admiral stieß ihn mit dem Ellenbogen, so dass der Leibarzt zur Seite flog. »Na und ? Meine Großmutter hat noch etwas Schafskacke dazugetan, ich habe das perfektioniert, ich reibe dazu Affensch . . .« Und der Seemann gebrauchte ein Wort, das nach Mitjas Meinung im Zarenpalast auf gar keinen Fall hätte erklingen dürfen.
»Ich verstehe Eure medizinischen Termini nicht«, sagte Katharina lachend. »Jakow Fjodorowitsch, seid nicht böse auf meinen Kostja. Er hat zwar nicht studiert, ist aber weit herumgekommen, hat allerhand gesehen, und seine Hände sind weich. Adelaida Iwanowna, was wollt Ihr denn mit Eurem Schnäuzchen? Ach, lecken will sie, mein Goldschatz!«
Mitja zuckte zusammen und stellte sich auf die Zehenspitzen. Die letzten Worte hatten Gott sei Dank nicht einer der Hofdamen gegolten, sondern waren an die perlmuttgraue Windhündin gerichtet, die eifrig die Knöchel der Zarin leckte. So war das hier also: den Hund redete man mit Vor- und Vatersnamen an, den Admiral nannte man dagegen schlicht Kostja.
»Sie haben den Indianer und uns vergessen«, flüsterte Mitja seinem Vater zu. »Dann ist das Projekt also gescheitert?«
Von Vater war nur ein Schluchzen zu hören. Und der Indianer zwinkerte auch nicht besonders glücklich mit seinen Olivenäugelchen. Auch er, der wilde Bewohner der Urwälder, hatte vermutlich irgendwelche besonderen Hoffnungen in diesen Tag gesetzt.
»Zu welchen Indianern gehört Ihr, gnädiger Herr?«, fragte Mitja leise, erst auf Englisch, dann auf Französisch. »Ich kenne die Irokesen, die Tscherokesen und die Algonkins.«
Obwohl er die Frage doch höflich und respektvoll gestellt hatte, war der Wilde sichtlich erschrocken. Er rückte mit einem Satz von Mitja ab und murmelte:
»Big little man.«
Und bekreuzigte sich auch noch. Von wegen ein Wilder.
Vater tat ihm schrecklich Leid. Sie hatten doch so lange auf diesen Tag gewartet! Wie viel Geld sie allein ausgegeben hatten: für die Reise, für die Kleidung, für Futter, für ein Geschenk an Lew Alexandrowitsch Kukuschkin, damit er ihnen eine Einladung für den Donnerstagsempfang in der Kleinen Eremitage besorgte (er war zwar ein alter Bekannter, aber man muss sich doch trotzdem erkenntlich zeigen)!
Wie viel Geld sie ausgegeben hatten, war gar nicht so schwer nachzurechnen, denn Vater hatte es dem Sohn anvertraut, auf die Rechnung zu achten, weil er selber mit der Arithmetik Probleme hatte. Achtundzwanzig Rubel dreiunddreißig ein Viertel Kopeken für die Pferde, acht Rubel dreizehneinhalb Kopeken für das Essen, fünfhundertdreißig Rubel für die Kleidung, hundertfünfzig Rubel für Lew Alexandrowitschs Bronzenajade und vier Rubel elf Kopeken sonstige Ausgaben, also insgesamt (eine kinderleichte Rechnung, so dass Mitja noch nicht einmal die Stirn runzelte) 720 Rubel 57 3/4 Kopeken. Ganz schön viel!
Und als ob es nur um das Geld ginge!
Vater hatte sein ganzes Herz in dieses Projekt gesteckt, wie oft hatte er Mutter in allen Einzelheiten ausgemalt, wie sich alles ändern würde, wenn Mütterchen Kaiserin an Mithridates Gefallen fände, sich seiner annähme und sich plötzlich auch an ihre frühere Sympathie erinnerte und einen gewissen Seconderittmeister a. D. mit ihrem sonnigen Blick beglückte. Was war die Sonne schon im Vergleich zu diesem Blick?! Sie kann nur einen Halm aus dem Samen sprießen lassen, nicht mehr, während Katharinas wunderbarer Blick den kleinsten Halm in einen stolzen Affenbrotbaum verwandeln kann. Mutter hatte diesen Phantasien nur so zugehört und war vor Glück ganz rosig geworden.
Vater hatte Mitja mehr als drei Jahre auf diesen Tag vorbereitet. Man kann sagen, von dem Augenblick an, da er entdeckte, dass sein Sohn anders als andere Kinder war, lebte er nur noch für sein Projekt.
Bis zu jenem Tag hatte man den Jüngsten mitleidig belächelt und für einen Idioten gehalten. Er war ja schon über drei und sprach noch kein einziges Wort. Er schmatzte mit den Lippen, gab ein Zischen von sich, aber etwas Verständliches bekam
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