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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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mit starrem Blick musterte.
    Auch Daniel fiel das auf, und er stürzte zu dem alten Freund.
    »Das Herz?«
    Miron Antiochowitsch zitterte und wandte die Augen ab. Er schluckte schwer und rieb sich die linke Brust.
    »Ja, das kommt vor . . . Keine Angst, es ist gleich wieder gut.«
    Aber auch beim Abendessen war er ungewöhnlich schweigsam. Er aß fast nichts, und wenn er Daniel antwortete, dann nur kurz und unter großer Anstrengung.
    Schließlich schob Vondorin entschlossen den Teller beiseite und ergriff Ljubawins Hand.
    »Jetzt hör mal zu, mein Lieber. Schließlich bin ich Doktor . . .«Er fühlte ihm den Puls und runzelte die Stirn. »Du musst dich hinlegen. Über hundert. Hast du kein Rauschen in den Ohren?«
    Der junge Ljubawin machte sich große Sorgen, riss sich die Serviette von der Brust und sprang auf.
    »Macht doch nicht so einen Wind«, sagte Miron Antiochowitsch und lachte gezwungen. »Ich habe zu heiß gebadet, das kommt vor.« Seine Augen funkelten, sein Lächeln wurde breiter. »Du hast mir da im Kuhstall einen Vorwurf gemacht, Daniel. Nicht offen, aber ich hab’s natürlich trotzdem wahrgenommen. Dass ich meine Bauern wie die Kühe halte. Wie viel ich mich auch um ihren Körper kümmere, ich vernachlässige ihren Geist. Das denkst du von mir, stimmt’s?«
    »Mir schien tatsächlich, dass sich in deinem übertriebenen Hang zu Ordnung und praktischem Nutzen eine gewisse Missachtung äußert gegenüber . . .«
    »Aha! Da kennst du mich aber schlecht! Kannst du dich erinnern, wie wir in unserer Studentenzeit über die Öde des Dorflebens schimpften? Darüber, dass die Bauern sich im Winter, sobald es dunkel wird, auf die Ofenbank legen, manche schon um vier, und schnarchen, statt die Winterpause für nützliche oder schöne Dinge zu nutzen? Kannst du dich erinnern?«
    »Ja, kann ich«, sagte Daniel nickend. »Ich weiß noch, dass ich entrüstet entgegnete, einige Bauern würden vielleicht sogar mit Handkuss etwas tun, aber die Armut hindere sie daran, denn sie müssen an Leuchtspänen sparen.«
    Ljubawin sagte lachend:
    »Und wie du von Bauernklubs geträumt hast, weiß du das noch? In denen die Landbewohner an Winterabenden, wenn es kaum etwas zu tun gibt, Lieder aufführen, Bastschuhe zum Verkauf flechten oder hölzerne Löffel und Spielzeugfiguren schnitzen sollten?«
    Da musste auch Vondorin lachen und sagte:
    »Na klar erinnere ich mich daran. Ich war jung und idealistisch. Du hast dich noch über mich lustig gemacht.«
    »Kann sein, aber ich habe doch selber so etwas eingerichtet.«
    »Wie denn das?«
    Miron Antiochowitsch zog listig die Augenbrauen zusammen und sagte:
    »Zwischen Sonnenstadt und Utopie (so heißt mein anderes Dorf) steht eine alte Wassermühle im Wald, die im Winter sowieso zu nichts nutze ist. Da habe ich Bänke und Tische aufgestellt und einen Samowar gekauft. Wer von den Bauern möchte, kann da einkehren und herumsitzen. Für die Kerzen sorge ich; wenn jemand Kekse oder heißen Tee haben will, kostet das einen Groschen. Das ist zwar billig, aber nicht umsonst. Damit sie die Muße zu schätzen wissen. Da liegen auch Bücher mit Bildern herum, wenn jemand gucken will. Und eine Drehbank, ein Stickrahmen und ein Webstuhl für die Weiber stehen da.«
    »Und machen sie Gebrauch davon?«, fragte Daniel begeistert.
    »Am Anfang nicht. Da musste ich Gewalt anwenden. Aber jetzt haben sie sich daran gewöhnt, besonders die jungen Leute. Ein Milizionär und ein Kirchendiener passen auf, dass sie sich anständig benehmen. Willst du es dir angucken?«
    »Na klar!« Vondorin sprang auf. »Für diese Einrichtung hast du mehr Lob verdient als für all deine wirtschaftlichen Neuerungen! Au ja, lass uns hingehen!« Aber dann kamen ihm plötzlich Bedenken, und er sagte: »Entschuldige, mein Freund. Dir geht es ja nicht gut. Lass uns morgen in den Klub gehen . . .«
    Der Hausherr sah ihn mit einem Lächeln an und sagte:
    »Ihr könnt doch auch ohne mich hingehen. Thomas zeigt euch den Weg. Ihr könnt da übernachten und wieder hierher zurückkommen.«
    »Gehen wir?«, fragte Daniel Mitja, und man sah, dass er es kaum erwarten konnte, sich seinen in die Tat umgesetzten Traum anzusehen.
    »Na klar, gehen wir!«
    Mithridates fand es selber interessant, sich diese phantastische Einrichtung anzusehen. Ein Bauernklub, wo gibt es denn so etwas!«
    »Mit Samson wird es nicht gehen«, sagte Ljubawin. »Der Pfad ist vom Schnee verweht, man kommt nur mit dem Pferd durch und kann sogar nur hintereinander

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