Der Favorit der Zarin
artikuliert zu sprechen. »Siehst du denn nicht, wer dein Begleiter ist? Du meinst, du hättest deinen Sohn gefunden, und freust dich darüber? Aber weißt du, wo er war? Hast du ihn gefragt? Er wird dir natürlich nicht die Wahrheit sagen! Er wird dich so belügen, dass es jeder glaubt! Hör auf mich! Man muss ihn vernichten!«
Er riss sich mit einem starken Ruck los, Daniel konnte ihn nicht halten. An Mitja aber ließ er ihn nicht herankommen – er deckte ihn mit seinem eigenen Körper.
Da stürmte Ljubawin zurück zum Haus und schrie gellend:
»Heda, Miliz! Wache! Hierher!«
Sofort ging in den Fenstern das Licht an, und ein paar Männer kamen mit Laternen nach draußen gelaufen.
»Nichts wie weg!« Daniel nahm Mithridates auf den Arm. »Mirons Milizionäre sind starke Kerle, die machen keine Witze.«
Er sprang mit Riesensätzen über das Eis und raste durch den Park.
Von hinten hörte man Ljubawin schreien:
»Da, da sind sie! Holt sie ein, packt sie und steckt beiden einen Knebel in den Mund!«
Puh, Vondorin rannte in einem irren Tempo – Mitja pfiff nur so der Wind um die Ohren. Woher hatte der alte Mann so viel Kraft?
Vor dem Zaun blieb Daniel stehen. Er zwängte Mitja durch die Gitterstäbe hindurch, hielt sich selber an den Spitzen der Stäbe fest, zog sich daran hoch und sprang hinunter.
Er lief lange über das Schneefeld. Gut, dass der verharschte Schnee fest war und ihn nicht einbrechen ließ. Und außerdem half noch ein Schneesturm, der plötzlich eingesetzt hatte – er schickte weiße Flocken in das Weiß, fing die Flüchtigen auf und versteckte sie hinter einem Spitzenvorhang.
Am Waldrand fiel Vondorin in eine Schneewehe und lehnte sich an eine Kiefer. Er musste wieder zu Atem kommen.
Er presste Mitja an sich, damit er nicht erfror.
»Ach, was für ein Kummer, ach, was für ein Unglück«, jammerte Daniel. »Da gibt es in ganz Russland einen einzigen tüchtigen Ökonom, der den Bauern wohl gesonnen ist, und ausgerechnet der muss den Verstand verlieren. Sei nicht böse auf ihn, Dmitri; nicht er ist es, der dich töten wollte, es ist seine Krankheit. Ich werde Miron später bestimmt aufsuchen und ihn heilen. Auch wenn er nicht gesund ist, er ist eine gute Seele. Besser eine kranke Seele, als wenn jemand weder eine Seele noch ein Gewissen hat. Da gibt es nichts zu kurieren. Es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als ohne Gewissen zu leben . . .«
SIEBZEHNTES KAPITEL
DIE SANFTE
(Dostojewski, 1876)
». . . Und das Tollste ist, dass diese dumme Gans Inga einen Narren an dir gefressen hat. Es heißt bei ihr in einer Tour: › Das ist das Verdienst von Sir Nicholas . . ., das haben wir Sir Nicholas zu verdanken . . ., also das Mädchen ist einfach nicht wiederzuerkennen.« Da kann ich nur sagen: Bravo, Nicki, bravo.«
Jeanne tätschelte spöttisch Fandorins Wange – er fuhr entsetzt zurück.
Die beiden waren auf der Treppe allein. Die Gastgeberin war in die Küche gegangen, um nachzusehen, ob das warme Essen bald fertig war, und hatte Nicholas gebeten, die liebe Jeanne ins Wohnzimmer zu bringen.
So musste er sie nun auf seinen ihm kaum gehorchenden Beinen begleiten.
»Gut, dass ich dich damals auf der Landstraße nicht zu Brei gefahren habe«, flötete Nickis wahre Arbeitgeberin und hakte sich bei ihm unter. »Ich habe geahnt, dass es keine Zeitverschwendung ist, sich mit dir abzugeben, da kann ich mich auf meine Intuition verlassen.« Sie lehnte zärtlich den Kopf an seine Schulter und ging in den Flüsterton über. »Heute Abend kannst du deine Schuld bezahlen. Dann hast du es hinter dir und bist frei.«
»Was soll ich denn tun?«, fragte er heiser.
Das waren die ersten Worte, die er sprach, seit er sie gesehen hatte. Als Inga Sergejewna sie miteinander bekannt machte (»Sir Nicholas, Miras Gouverneur – Jeanne Bogomolowa, die Freundin eines uralten Bekannten von uns«), hatte er nur beklommen nicken und kraftlos den Händedruck erwidern können. Jean-nes Hand war fest und heiß, während die seine nass von kaltem Schweiß war.
»Meinem Kunden helfen, das zu bekommen, was er haben will«, antwortete sie.
Sie führte ihn ans Fenster und zog den Vorhang weg.
Die Welt hinter dem grell angestrahlten Hof und der beleuchteten Oberseite der äußeren Mauer war schwarz, so dass das Gebäude an eine große Weltraumstation erinnerte, die durch das All fliegt.
»Ihr Kunde Oleg Stanislawowitsch Jastykow?«
»Wie intelligent du doch bist, wie scharfsinnig, also wirklich, ein richtiger
Weitere Kostenlose Bücher