Der Favorit der Zarin
bringen, Onkel?«, fragte er leise.
Von unten, auf dem Hintergrund des dunkelgrauen Himmels, sah Ljubawin riesig aus und hatte einen gewaltigen Zottelkopf.
»Zum Teich«, antwortete Miron Antiochowitsch heiser. »Da gibt es ein Eisloch. Du bist zwar schlau, aber ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Das wirst du schon sehen.« Er lachte kurz, rang nach Luft und drehte Mitjas Kopf nach hinten.
Er sah die weißen Mauern des Hauses hinter den Bäumen.
»Siehst du das offene Fenster? Das ist dein Schlafzimmer. Ich sage, ich hätte dich zu Bett gebracht, aber du seist aus dem Fenster gesprungen und weggelaufen. Daniel wird meinen, du hättest wieder den Verstand verloren. Er tut mir Leid, ich will, dass er nicht ganz die Hoffnung verliert. Die Wahrheit sage ich ihm nicht.«
Mitja kämpfte gegen den unbändigen Wunsch, vor Entsetzen aufzuschreien, und fragte noch leiser:
»Warum wollt Ihr mich töten?«
»Ich will das nicht, ich muss es.«
Und Ljubawin beugte sich auf einmal über ihn und hielt ihm wieder den Mund zu. Eine Sekunde später hörte Mitja das Getrappel näher kommender Hufe. Jemand kam im Galopp über die Allee zum Haus gesprengt.
»Es wird Zeit«, murmelte der Verrückte.
Er warf sich den Kleinen über die Schulter und trug ihn weiter.
»Ich habe doch nichts verbrochen!«, schrie Mitja.
»Lüg nicht, du Satan, ich lasse mich nicht an der Nase herumführen«, sagte Miron Antiochowitsch außer Atem, denn er musste sich einen Weg durch das Gestrüpp bahnen.
Die Zweige lichteten sich, und vor ihnen öffnete sich eine weiße Waldwiese mit einem schwarzen Rund in der Mitte.
Nein, das war keine Waldwiese, sondern ein Teich, und das schwarze Rund war das Eisloch!
Mitja strampelte und schrie, nicht um Hilfe zu rufen – wer hätte das auch hören sollen –, sondern weil sich seine Lunge blähte. Sie rang wild nach Luft, als ob sie begriff, es würde dies das letzte Mal sein, sie würde sich bald mit brennendem schwarzem Wasser füllen.
»Kühl dich ab, kühl dich ab vor der Feuerhölle«, sagte Ljubawin im Gehen.
»Halt!«, hörte man plötzlich von hinten. »Miron, was hast du vor?!«
»Da-Daniel! Ich bin hier!«, schrie Mitja, der sich wand und zur Wehr setzte.
Ljubawin ging in den Laufschritt über, aber Vondorin rannte ebenfalls und kam schnell näher.
Da stolperte der Wahnsinnige und fiel zu Boden, aber er ließ Mitja nicht aus den Fängen.
»Du lügst«, flüsterte er, während er den Kleinen dichter an das Eisloch heranschleppte. »Miron Ljubawin kennt seine Pflicht.«
Offenbar verstand er, dass er es nicht schaffen würde, ihn zu ertränken. Er legte Mitja beide Hände um den Hals, drückte aber nicht zu. Daniel kam herbeigestürzt, nahm Ljubawin sein Opfer weg und schleuderte ihn zur Seite.
»Nimm Vernunft an! Das ist ein Delirium! Du hast eine Demenz! Das habe ich schon beim Abendessen bemerkt. . .«
»Wozu bist du zurückgekommen? Um Gottes willen, wozu?«, rief jener mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Er wollte sich wieder auf Mitja werfen, aber Vondorin war auf der Hut – er fing ihn ab und ließ ihn nicht mehr los.
»Na, beruhige dich doch«, sagte er langsam, vernünftig und besänftigend. »Ich bin’s, dein alter Kamerad. Das ist mein Sohn Samson. Und du, was hast du auf einmal für ein Gespenst gesehen? Du arbeitest zu viel und schonst dich nicht, da hast du deinen Verstand überanstrengt. Macht nichts, ich kriege das schon wieder hin . . .«
»Wozu bist du zurückgekommen?«, wiederholte Miron Antiochowitsch verzweifelt. »Nun hast du alles verdorben! Wozu bist du zurückgekommen?«
»Richtiger wäre zu sagen, warum, und nicht wozu«, antwortete Daniel immer noch genauso besänftigend. »Aus zwei Gründen. Der Weg durch den Wald war gar nicht so schmal und verschneit. Man hätte durchaus auch mit dem Schlitten fahren können. Und dann habe ich die ganze Zeit überlegt, wieso du dich wohl auf einmal dazu durchgerungen hast, den kleinen Jungen dein kostbares Mikroskop angucken zu lassen; ich konnte es nicht fassen. Du lässt ja noch nicht einmal deinen eigenen Sohn an das Gerät heran. Und außerdem hattest du ein eigenartiges Funkeln in den Augen, das ich aus meiner medizinischen Betätigung kenne. So brennen die Augen bei jemand, der meint, er allein sei bei Sinnen, alle anderen aber seien verrückt und hätten sich gegen ihn verschworen. Du hattest einen Anfall von geistiger Umnachtung . . .«
»Du bist es, der geistig umnachtet ist!«, schrie Miron, der Mühe hatte,
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