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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Lächeln auf dem Gesicht des Gastes verschwand.
    »Ich habe ebenfalls meinen Sohn bei mir. Komm her, Samson, genier dich nicht.«
    Als Mitja sich näherte und verbeugte, fügte Vondorin hinzu:
    »Er ist neun, aber verstandesmäßig ist er seinen Altersgenossen weit voraus.«
    Mitja schien es, als musterten ihn Ljubawin und sein Sohn abschätzig, aber nachdem sich die Blicke der beiden begegnet waren, lächelten sie sofort wieder erfreut.
    »Er ist zu klein für seine neun Jahre, viel zu klein.« Miron Antiochowitsch tippte Mitja scherzend mit einem Finger an die Nasenspitze. »Lässt du dein Söhnchen vor Gelehrsamkeit darben, Daniel? Ich kenne dich Bücherwurm doch! Ach, was steht ihr denn bei mir so unchristlich draußen herum!«, unterbrach sich der Hausherr auf einmal. »Kommt herein, ins Haus! Meine Lydia ist gestorben. Ja, ja«, sagte er und nickte dem Hände ringenden Daniel zu. »Schon gut, schon gut, ich habe genug um sie geweint. Macht nichts. Ich bin jetzt genauso ein Einzelgänger wie du. Thomas und ich, wir kommen schon alleine zurecht, ohne die gemütliche Atmosphäre, die ein Weib zu schaffen weiß. Also sei nicht zu anspruchsvoll.«
    Was die Gemütlichkeit betraf, so hatte er untertrieben. Das Haus dieses beeindruckenden Brigadiers war höchst planvoll und angenehm zum Wohnen eingerichtet. Einfache Möbel ohne Schnickschnack, die vor allem der Bequemlichkeit dienten: Die Lehnen der Stühle und Sessel waren auf die Rückenform zugeschnitten, so dass man ohne Anspannung darauf sitzen konnte; auf den breiten Fensterbänken lagen türkische Kissen, da konnte man genüsslich ein gutes Buch lesen und sich an der Aussicht auf den Park weiden; die Fußböden waren mit gewebten dörflichen Läufern bedeckt, so dass man nicht ausrutschte und weich auftrat.
    Aber am meisten interessierten Mithridates natürlich die nützlichen Apparate, die es beinahe in jedem Zimmer gab. Da waren Barometer und Thermometer, die an beiden Seiten des Hauses angebracht waren, Fernrohre zum Betrachten der Umgebung und ein Kompass mit Höhenmesser; am tollsten aber war es in der Bibliothek. Was für eine Unmenge Bücher! Tausende und Abertausende! Wenn das kein Ort war, wo man gut und gerne ein, zwei Jahre hätte zubringen mögen!
    An den Wänden hingen drei Porträts von großen Männern: ein Junger mit langen, ungelockten Haaren in runder Mütze, die anderen zwei waren etwas älter und trugen flache Mützen, die man Barett nannte.
    »Das ist Pico della Mirandola aus Modena«, sagte Vondorin nickend und zeigte auf den jungen Mann. »Das ist der weltberühmte Campanella, und wer ist der Dritte?«
    »Der große Engländer Thomas More, nach dem ich meinen einzigen Sohn und Erben genannt habe. Das Porträt ist von dem Künstler nicht nach dem bekannten Stich, sondern nur nach meinen speziellen Anweisungen angefertigt worden, deshalb hast du ihn nicht erkannt.«
    »Eine tolle Dreifaltigkeit, besser als jeder Ikonostas«, lobte Daniel und drehte sich zu einem Glaswürfel, in dem ein schwarzes Rohr auf einem auffälligen Unterbau stand. »Und was ist das? Doch nicht etwa ein dioptrisches Mikroskop?«
    »Doch, genau das«, bestätigte Ljubawin stolz. »Ein superneues, mit achromatischem Okular. In einem einfachen Wassertropfen offenbart es einen ganzen Kosmos von Bewohnern. Ich habe es für zweitausend Rubel aus Nürnberg kommen lassen.«
    Mitja zitterte vor Ehrfurcht. Er hatte von diesem Wundermikroskop gehört, das sehr viel stärker als seine Vorgänger war, und träumte seit langem davon, mit seiner Hilfe die kleinen Universen zu betrachten, die man im Inneren der Elemente entdecken kann. Er hatte dazu eine eigene Hypothese, die er experimentell überprüfen wollte, nämlich, dass die physische Natur unendlich ist, ihre Räume aber nicht linear, sondern geschichtet sind, das heißt unendlich klein in der einen Richtung und unendlich groß in der anderen.
    »Gnädiger Herr, ob Ihr erlaubt, einen kurzen Blick in dieses Instrument zu werfen?«, fragte er, denn er konnte nicht anders.
    Miron Antiochowitsch äffte ihn lachend nach:
    » › Gnädiger Herr ‹ . Du hast ihn ja ganz schön getrimmt, Daniel. Pass auf, dass du es mit der Erziehung nicht übertreibst, sonst ziehst du einen kleinen Greis heran. Jede Altersstufe braucht etwas anderes.« Dann antwortete er Mithridates: »Entschuldige, mein Lieber, aber das kann ich nicht! Das ist ein ungemein empfindlicher Mechanismus. Ich erlaube es selbst meinem eigenen Sohn nicht, ihn zu

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