Der Favorit der Zarin

weiß sich zur Wehr zu setzen und lässt sich nicht in die Karten gucken. Und er hat tolle Verbindungen, die vom Kreml bis zum kolumbianischen Medellin reichen. Wissen Sie, wofür er die rund um die Uhr geöffneten Drugstores der › Doktor Wehwehchen ‹ -Kette braucht? Dachten Sie vielleicht, er will Aspirin und Sprudel verkaufen?«
    Genau das hatte Nicholas eigentlich angenommen, aber der Ton der Frage deutete eindeutig auf eine negative Antwort und Fandorin schüttelte den Kopf.
    »Eben. Wie soll man sich denn durch den Verkauf von Sprudel eine goldene Nase verdienen können? Jasti hat ein ganz besonderes Projekt, das sich in wesentlichen Punkten von meinem unterscheidet, aber ebenfalls mit dem Besitz von Iljitsch steht und fällt. Er will die Produktionskapazität des Kombinats ausnutzen, um die serienmäßige Herstellung von Superrelaxan in Angriff zu nehmen. Haben Sie von diesem Wundermittel gehört?«
    »Nein.«
    »Dabei wird doch bei uns so viel darüber geschrieben und geredet! Das ist ein Zauberkraut auf der Grundlage von Holzpilzen, das unsere Homöopathen entdeckt haben. Ein tolles Mittel gegen Neurosen, Migräne, depressive Zustände und Entzugserscheinungen. Es wurde von dem Forschungslabor der Firma › DrWW ‹ entwickelt. Jasti gibt Unmengen von Geld für die Werbung aus. Und für die Lobbyarbeit auch. Superrelaxan hat sich in Studien bestens bewährt, wurde vom Gesundheitsministerium zugelassen und zur rezeptfreien Anwendung empfohlen. Das Mittel ist wirklich einzigartig: es wirkt schnell und hat keine Nebenwirkungen. Außer einem . . .« Kuzenko machte eine Pause. »Ich habe selber anderthalb Millionen für die Erforschung der Eigenschaften von Superrelaxan ausgegeben. Es stellte sich heraus, dass diese Tabletten Menschen, die zur Abhängigkeit von Medikamenten neigen, mit der Zeit unweigerlich süchtig machen.«
    »Es handelt sich also um eine Droge?«
    »Ja. Eine, die langsam wirkt, so dass sich anfangs keinerlei Besorgnis erregenden Symptome zeigen, deren Wirkung aber von großer Durchschlagskraft ist, von sehr großer Durchschlagskraft. Im Zuge der Gewöhnung und der Steigerung der Dosis von Superrelaxan engt sich der Interessenhorizont des Konsumenten langsam ein, die Fähigkeit zur Regeneration nimmt ab, es kommt zur völligen Apathie. Wenn Jasti erst mal die Weichen für die Massenproduktion gestellt hat, will er eine irre Werbekampagne starten. Im ersten Jahr werden die Tabletten ganz billig verkauft. Vom zweiten Jahr an, wenn der Mechanismus der Gewöhnung einsetzt, beginnen die Preise für Superrelaxan allmählich zu steigen. Das ist auch der Zeitpunkt, zu dem die Drugstores sich über ganz Russland verbreitet haben werden. Das ist der Wunschtraum eines jeden Unternehmers: von der Rohstoffquelle bis zum Einzelhandel alles in seiner Hand zu haben. Mein alter Freund will das ganze Land von diesen Pillen abhängig machen. So sieht sein Business-Plan aus.«
    »Aber warum veröffentlichen Sie denn nicht die Ergebnisse Ihrer Forschungen?«, rief Fandorin verwundert aus. »Da muss man doch auf schreien und Alarm schlagen!«
    Mirat Leninowitsch lächelte arrogant und sagte:
    »Meinungsfreiheit, Nikolaj Alexandrowitsch, das ist, wenn einer das eine und der andere das Gegenteil davon schreit, und wer lauter brüllt, dem glaubt man. In diesem Punkt kann ich Jasti nicht mehr einholen, er hat sehr viel früher angefangen, die Trommel zu rühren, und ist mir weit voraus. Nein, Alarm schlagen werde ich nicht. Ich bin schließlich kein Glöckner, sondern Chirurg. Und werde dieses Problem lösen, wie ich es gewohnt bin: mit dem Skalpell. Und Sie helfen mir dabei, zwei sehen mehr als einer. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«
    »Na klar! Wenn ich kann . . .«
    »Hervorragend. Dann legen wir los.«
    Kuzenko drückte auf den Knopf der Videosprechanlage.
    »Igor? Schnapp dir Chodkewitsch und komm schnell her. Wir müssen da ein kleines Problem lösen.«
    Eine Minute später tagte der Kriegsrat, und zwar nicht mit zwei, sondern mit vier Teilnehmern. Außer dem Hausherrn und Fandorin nahmen an der Beratung Mirat Leninowitschs Sekretär Igor und der Gutsverwalter Pawel Lukjanowitsch Chodkewitsch teil.
    Kuzenko stellte die Lage selber dar: sachlich und kurz, als handele es sich in Wirklichkeit lediglich um eine kleine Schachaufgabe. Der Bericht nahm nur ein Sechstel der Zeit in Anspruch, die Fandorin für sein wortreiches Geständnis benötigt hatte, und der Informationsgehalt war höher, denn als Mirat