Der Favorit der Zarin
Notizbuch, um die Namen der Verurteilten zu finden. »Aber irgendjemand muss doch diese beiden . . ., na diesen Salzman und den Sjatkow, umgebracht haben.«
»Da haben Sie Recht; und ich werde diese Drohung jetzt sehr ernst nehmen. Aber Psychopathen, das ist die eine Sache, Business, das ist etwas anderes. Herr Jastykow ist mit Sicherheit kein Verrückter, da können Sie mir schon glauben. Aber dass er ein erbitterter Feind von mir und das letzte Arschloch ist, daran ist nicht zu rütteln.«
Diese Worte aus dem Munde des sonst eher zurückhaltenden Doktors zu hören, war so überraschend, dass Nicholas zusammenzuckte.
»Dieser Mann steht mir mein ganzes Leben im Weg«, sagte Kuzenko und hatte Mühe, seine Wut zu zügeln. »Ich werde nie vergessen, wie er . . . Okay, rühren wir nicht an diese Kindertraumata der Vergangenheit, sondern reden wir von der Gegenwart.«
Sein Adamsapfel zuckte, als müsse er erst einmal seine Gefühle herunterschlucken. Dann wurde er wieder nüchtern und sachlich.
»Sie haben keine Ahnung, um was für ein Geschäft es geht und was dieses Geschäft nicht nur für mich persönlich, sondern – entschuldigen Sie das Pathos – für das ganze Land bedeutet. Sie müssen wissen, wir haben praktisch keine Pharmaindustrie. In der Zeit der Sowjetunion waren Ungarn und Polen für die Produktion von Medikamenten zuständig; außerdem wurde einiges in Indien gekauft, das damit einen Teil seiner Schulden beglich. Eigene Präparate wurden bei uns überhaupt nicht hergestellt, sondern nur Generika, das heißt Kopien ausländischer Medikamente. Für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels muss man zehn Jahre Forschungsarbeit und mehrere hundert Millionen Dollar ansetzen. Solche Summen kann unser Staat nicht aufbringen, ein privater Hersteller erst recht nicht. Wenn es mir gelingt, das Iljitschowsker Kombinat zu kaufen, dann beginnt für unsere Pharmaindustrie eine neue Ära. Ich habe einen Investor an der Hand, einen deutschen Konzern mit einem weltberühmten Namen, der bereit ist, eine Viertelmilliarde in die Modernisierung von Iljitsch und die Entwicklung eigener Präparate zu stecken. Können Sie sich vorstellen, was das heißt? Wir würden dann mit unserer heimischen Industrie und Wissenschaft anfangen, aus eigenen Kräften neue Arzneimittel herzustellen, die woanders keine Parallele haben und auf dem Weltmarkt konkurrieren könnten! Zum ersten Mal seit Urzeiten! Stellen Sie sich das mal vor!«
Nicholas versuchte, sich das vorzustellen, aber diese Perspektive beeindruckte ihn nicht sonderlich. Was spielte es denn für eine Rolle, wo die Arzneien hergestellt wurden? Hauptsache, sie taugten etwas und waren nicht zu teuer, das reichte. Mirat Leninowitschs Patriotismus flößte natürlich Respekt und Sympathie ein, aber Fandorin interessierte sich im Augenblick entschieden mehr für das Schicksal seiner Familie und – warum sollte er den Helden spielen – für sein eigenes. Trotzdem fragte er aus Höflichkeit:
»Und was gefällt Jastykow daran nicht?«
»Jasti hat andere Pläne«, antwortete Kuzenko finster. »Damit Sie mich besser verstehen, erzähle ich Ihnen kurz, was für ein Typ er ist. In unserer Klasse war er, wie man heute sagen würde, der inoffizielle Leader. Ein hübscher Junge, sportlich und nur in schicke Sachen aus dem Westen gekleidet – Jastis Vater durfte reisen, gehörte also zur Nomenklatur. Genauso wie ich hat Jasti Medizin studiert. Nicht weil er Arzt werden wollte, sondern weil sein Papi den Arzneiimport im Außenministerium unter seiner Fuchtel hatte. Der brachte da auch sein Söhnchen unter. Während ich büffelte, bei Operationen assistierte und Nachtdienst schieben musste, reiste Jasti durch die Welt. Er verkaufte unsere homöopathischen Mittelchen und kaufte Medikamente ein. Und er knüpfte enge, um nicht zu sagen freundschaftliche Geschäftskontakte zu einigen kolumbianischen Firmen. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
»Drogen?«
»Klar. Das war die Zeit, als die Sowjetunion zusammenbrach. Es herrschte Chaos, jeder machte, was er wollte; der ideale Zeitpunkt, um im Trüben zu fischen. Und im Angeln war Jasti spitze. Solange die Banditen das Business in der Hand hatten, saß er in den Startlöchern und war mucksmäuschenstill. Dann, als die einen erschossen, die anderen hinter Gitter gebracht worden waren, rückte der Berater, Vermittler und nützliche Bengel Oleg Stanislawowitsch automatisch auf und wurde ein selbständiger einflussreicher Unternehmer. Er
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